Kleine Zeitung Steiermark

Zur Person

- Dzˇevad Karahasan,

geboren 1953 in Duvno, Bosnien, lebt als vielfach preisgekrö­nter Autor seit 20 Jahren in Graz.

Ehrung: Morgen erhält er im Literaturh­aus Graz den Franznabl-preis, dotiert mit 14.500 Euro. Beginn: 19 Uhr. Und diese Angst bietet den Politikern die Möglichkei­t, Dinge, die höchst komplex sind, völlig zu vereinfach­en. Die Ängste werden absichtlic­h und systematis­ch produziert. Aber, noch einmal: Viele dieser Ängste entstanden und entstehen weiterhin, wenn man den Eindruck einer extrem vereinfach­ten Welt und Wirklichke­it systematis­ch vermitteln will. Demokratie, wie man sie früher gekannt hat, gibt es nicht mehr.

Was kam abhanden?

Es gibt unzählige Veränderun­gen. Demokratie funktionie­rte von Beginn an dadurch, dass sie von der Gesellscha­ft verteidigt wurde. Jetzt zeigen immer mehr Gesellscha­ften wieder die Sehnsucht nach einer Führerfigu­r. Politiker wie Macron, zuvor Berlusconi in Italien, jetzt Sebastian Kurz – sie alle ließen über eine Liste abstimmen, über ihre Person, nicht über ihre Partei, sondern über eine versproche­ne, neue Bewegung. Das funktionie­rt, durch Vereinfach­ung, Versprechu­ngen, angeblich einfache Lösungen höchst komplexer Probleme.

Was wäre die Alternativ­e?

Vor allem vorsichtig­es und differenzi­ertes Denken. Dazu braucht man aber ein Ambiente, ein soziales Klima, in dem auch das Schweigen möglich ist, das stille Reden, das Überlegen. Stattdesse­n kommunizie­ren wir durch Sms-nachrichte­n oder mit Twitter und vergessen dabei, dass kein Mensch seine geistigen Inhalte in einem halben Satz mitteilen kann.

Naja, manchmal schon.

Mag sein. Aber die Sprache wird aufgelöst durch bloßes, kurzes Mitteilen. Obwohl Sprache ja weitaus mehr ist als nur ein Verständig­ungsmittel.

Eine Essenz Ihres monumental­en Romans „Der Trost des Nachthimme­ls“ist es, dass sich die Vernunft im Tiefschlaf befindet. Ist das heute wieder der Fall? Absolut. Unsere Kultur funktionie­rt zunehmend als Industrie des Vergessens. Was einstmals Kunst war, ist heute oft eine Produktion der Verdummung, einfach, spektakulä­r, geistig entleert. Jeder will den anderen übertönen. Die Politiker, die Enrichtig. tertainer, die Schriftste­ller. Aber weder das Schreien noch das Flüstern ermögliche­n es, uns ausgewogen auszudrück­en.

Sie sprachen vom Schweigen. Das kann, bedingt, auch zu einer Waffe des Widerstand­es werden? Dazu möchte ich kurz eine Geschichte erzählen. Ich habe meine Kindheit und meine Jugend im Kommunismu­s verbracht. Da hat man still miteinande­r geredet, da herrschte nach außen hin eine fast idyllische Atmosphäre, denn jeder laute Satz konnte missversta­nden und gefährlich werden. Und doch kommunizie­rten wir.

Frage an den Theaterwis­senschaftl­er: Hat die Politik dem

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Der Trost des Nachthimme­ls. Suhrkamp.
722 Seiten, 27,70 Euro.
Dzˇevad Karahasan. Der Trost des Nachthimme­ls. Suhrkamp. 722 Seiten, 27,70 Euro.

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