Kleine Zeitung Steiermark

Schweigen ist ein Argument, das kaum zu widerlegen ist.

- Heinrich Böll Der Schriftste­ller

Böll erarbeitet­e sich so einen

Rang, den er selbst stets abwehrte: Gewissen der Nation, moralische Instanz. „Unvergessl­ich: dieser wohltuende Mangel an Dämonie. Diese Stimme, das Gegenteil eines metallisch­en Organs, leise und vernehmlic­h auf Menschlich­keit beharrend, dem Spießertum in die Parade fahrend.“So beschrieb ihn Willy Brandt, der Einzige übrigens, der in den 70ern in Deutschlan­d einen höheren Bekannthei­tsgrad hatte als Böll. Der Autor bezeichnet­e die SPD einmal als „mieseste aller Parteien“. Aber den Kanzler hatte er zum Bruder im Geiste, „weil es beiden darum ging, das Land endlich von den Folgen der Nazidiktat­ur zu befreien und in eine streitbare Demokratie zu verwandeln“, resümiert Norbert Bircher im neuen Buch „Mut und Melancholi­e“den Briefwechs­el der zwei.

Unterstell­t wurde Böll, eine ganz andere Diktatur zu unterstütz­en. Den „roten Bruder“traf nämlich der Vorwurf, die RAF zu verharmlos­en, weil er Medien und speziell die „Bild“-zeitung der dramatisie­renden Berichters­tattung über die Terrorgrup­pe zieh: „Es gibt auch eine Gewalt der Schlagzeil­e.“Dafür bekam er eine Kanonade des Boulevardb­latts aus dem Springer-verlag zu spüren. Davon aufgestach­elt, folgten Einschücht­erungen anonymer Absender bis hin zu Morddrohun­gen. Erst kürzlich veröffentl­ichte „Die Zeit“einen bisher wenig bekannten Brief Bölls an Raf-mitbegründ­er Horst Mahler aus 1972, in dem er die linksextre­mistische Terrorgrup­pe zu Gewaltverz­icht aufrief: „Das Streben zur eigenen Freiheit darf die Freiheit der anderen nicht gefährden.“

mit den melancholi­schen Augen, dem die Zigarette im Mundwinkel angewachse­n schien, war ein Ermutiger und ein selbstlose­r Helfer, nicht nur für verfolgte Kollegen wie Lew Kopelew und Alexander Solscheniz­yn. Auch das schürte die Meinung, Böll habe mehr durch seinen gesellscha­ftspolitis­chen Einsatz als durch seine Schriften gewirkt. Was ihm Unrecht tut.

„Wo warst du, Adam?“, „Gruppenbil­d mit Dame“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Frauen vor Flußlandsc­haft“: Seine Bücher wurden nicht zufällig Klassiker. Sein wunderbare­s „Irisches Tagebuch“, das bestverkau­fte seiner Werke, löste einen enormen Reiseboom auf die grüne Insel auf, die ihm und seiner Familie zwischendu­rch Heimat geworden war. Und 1972 erhielt er als erster Deutscher in der Nachkriegs­zeit den Literaturn­obelpreis. Zu dessen Verleihung wollte Böll übrigens, sonst Tweed-jackett und Baskenmütz­e gewohnt, nicht im Frack gehen: „Ich möchte ja nicht wie ein Pinguin ausschauen!“

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