Von Feindesliebe in Zeiten des Krieges
In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen“, heißt es am Beginn der Weihnachtsgeschichte des Lukas. Was danach geschah, ist tausendfach erzählt und veränderte grundlegend den Lauf der Geschichte. Es gibt nur wenige Kunstwerke auf dieser Welt, von denen wir annehmen dürfen, dass sie der genannte Kaiser persönlich in seinen Händen hielt und die uns zeitlich so nah an das vom Evangelisten geschilderte Geschehen heranführen wie die Gemma Augustea.
Die berühmte Brosche, eine Art Gemälde auf arabischem Sardonyx, entstand zu einer Zeit, als Jesus ungefähr zehn Jahre alt war und Augustus auf dem Höhepunkt seiner Macht. So hat ihn jedenfalls ein römischer Steinschneider dargestellt: als jupitergleiche Gestalt, die sich von Oikumene, der Personifikation der bewohnten Erde, mit einem Siegeskranz huldigen lässt. An der Seite des Kaisers: Roma, die Schutzherrin der Stadt, der Meeresgott Okeanos und Italia mit Füllhorn.
So göttlich entrückt Augustus („der Erhabene“) auch erscheinen mag, so sehr wird er auf dem Halbedelstein mit einem konkreten historischen Ereignis in Beziehung gesetzt. Denn links von ihm steht in Offizierstracht sein Großneffe Germanicus. Daneben steigt sein Stiefsohn Tiberius, Herrscher zur Zeit von Jesu Kreuzigung, von einem Streitwagen herab. Beide kämpften erfolgreich gegen die aufständischen Pannonier, die zu ihren Füßen als Gefangene vorgeführt werden. Zwischen den „Barbaren“errichten römische Soldaten ein Siegesmal aus erbeuteten Waffen, ein sogenanntes Tropaion, das den Wendepunkt einer Schlacht markierte und im heutigen Wort „Trophäe“weiterlebt. Nur kurz nach ihrem Sieg gegen die Pannonier mussten die Römer selbst die Flucht ergreifen, nämlich vor den Germanen im Teutoburger Wald. ie 19 mal 23 Zentimeter große Gemma Augustea erlebte nach dem Tod ihres Besitzers eine wahre Odyssee, bis sie ein anderer Kaiser, Rudolf II., für die sagenhafte Summe von 12.000 Golddukaten erwarb. Heute ist sie der kostbarste Schatz in der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien und erinnert an einen erbitterten Krieg, den Augustus in unseren Breiten führte, während ein jüdischer Wanderprediger am anderen Ende des Römischen Reiches gerade seine „Mission Impossible“begann und weltfremd wie radikal forderte: „Liebet eure Feinde, segnet, die euch verfluchen, tut Gutes denen, die euch hassen“(Matthäus 5,44).
2000 Jahre später stehen Krieg und Terror nach wie vor auf der Tagesordnung, gibt es Sieger und Besiegte, ist von Nächstenoder gar Feindesliebe bestenfalls in schönen Sonntagspredigten die Rede. Allein im letzten Jahr starben 157.000 Menschen im Zuge von kriegerischen Handlungen, darunter 15.000 Kinder. Die Nachfolger des Augustus haben die Friedensbotschaft von Bethlehem noch längst nicht verstanden. Für die rund zwei Milliarden Christen der heutigen „Oikumene“ist sie aber mehr als nur eine Utopie. Denn „Friede ist Freiheit in Ruhe“, wie schon der alte Römer Cicero erkannte. In diesem Sinne: friedliche Weihnachten!
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