Seine Feinde lieben, obwohl es schmerzt
Versöhnung kann unter widrigen Umständen gedeihen, aber nur auf dem Humus der Wahrheit. Valentin Inzkos Geschichte zeugt davon.
Der Stadel aus dem Jahr 1895 ist seit Kurzem ein architektonisch geglücktes Wohnhaus einer Familie, die auf ihre Wurzeln und Flügel gleichermaßen stolz sein darf. Valentin Inzko ist Diplomat und prononcierter Vertreter der slowenischen Minderheit, Gattin Bernarda Fink eine weltbekannte, aus Argentinien stammende Mezzosopranistin mit slowenischem Pass.
Inzko verbringt vor Weihnachten einige Tage daheim, ehe er nach Sarajevo, seinen Amtssitz als Hoher Repräsentant der EU für Bosnien-herzegowina, fährt und weiter nach Den Haag fliegt, wo der Abschluss des Kriegsverbrechertribunals begangen wird. Mit Jahresende schließt das Untribunal, das 84 Schuld- und 19 Freisprüche fällte. Die Verurteilung der Balkan-mörder, ein Akt der Versöhnung? Der jüngste Ausbruch der Emotionen in Kroatien dürfe nicht den Blick auf das Wesentliche verschlei- ern, warnt Inzko. Die Verurteilung der Kriegsverbrecher sei für Bosnien ein erlösender Moment gewesen, „der Versöhnungsprozess wird, trotz Entgleisungen, stattfinden“, glaubt er. Zwar brachen die jüngst gesprochenen Urteile Wunden, obwohl noch kaum geschlossen, auf. Aber der Prozess zur Versöhnung sei stets derselbe: „Wahrheit, Gerechtigkeit, Versöhnung.“Die Abkürzung unter Ausschluss der Wahrheitsfindung wäre ein Trugschluss. „Es gibt keine schlechten Völker, nur individuelle Schuld.“Die Verantwortlichen dafür hatte das Tribunal eben zur Rechenschaft zu ziehen. nzko räumt ein, Lichtgestalten wie Willy Brandt oder Nelson Mandela fehlten in Bosnien-herzegowina.
Aber es gebe „viele schöne Beispiele von Menschen, die für Versöhnung eintreten“. Etwa jenen reichen Moslem, der eine katholische Kirche renovierte. Als man ihn fragte, warum er das mache, meinte er: „Mir haben schon meine Eltern beige-
Ibracht, dass man seinen Nachbarn helfen, mit ihnen gut zusammenleben und viel Mensch sein soll.“Das sei, sagt Inzko, der Balkankenner, überhaupt das häufigste Wort unter den einfachen Leuten Bosniens: „Mensch sein.“Außerdem habe ihn, den reichen Moslem, die desolate Fassade gestört, als er jeden Tag zur Arbeit fuhr. Einfach, aber wirksam. Die Musikschule von Srebrenica, an der Bosniaken und Serben in einem einzigartigen Modell gemeinsam unterrichtet werden, sei ein weiteres Beispiel der Aussöhnung zwischen Orthodoxen und Moslems, ausgerechnet am niederträchtigsten Ort der jüngeren Geschichte Europas. „Versöhnung ist möglich, ansonsten wäre das eine große Niederlage für die Humanität“, sagt Inzko – bestimmter und lauter als zuvor. Als Feststellung, aber auch Appell. in Schritt dorthin: der Fußball. Die bosnische Jugendmannschaft (U16) ist Europameister, fünf Serben laufen auf, selbst in
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