Das Geheimnis von Bethlehem
Ein Blick zurück auf die historische Wirklichkeit vor 2000 Jahren lässt erkennen: Die Geburtsgeschichte Jesu mit Krippe, Stall, Ochs und Esel hat wenig Romantisches an sich. Und sie lässt viele entscheidende Fragen offen.
Die Evangelien berichten uns wenig über Josef. Dafür zeichnet die Tradition das Bild eines älteren Herrn mit Glatze, der demütig erträgt, was ihm das Leben aufbürdet. Und das war in den Tagen, als er nach Bethlehem zog, um sich in Steuerlisten eintragen zu lassen, nicht gerade wenig: Zunächst einmal galt es für ihn den richtigen Weg von Nazareth nach Bethlehem zu finden, denn der kürzeste, jener „übers Gebirge“, war nicht ungefährlich. Immer wieder überfielen Samaritaner Juden, die durch ihr Gebiet zogen. Tief saß die gegenseitige Ablehnung der Glaubensbrüder, die sich an der Frage entzündete: Wessen Bibel ist die einzig wahre? Bis heute noch bezeichnen sich die Samaritaner als „Shomronim“, als die „Hüter“des wahren Glaubens, denen die fünf Bücher Mose als Heilige Schrift genügen.
Der ungefährlichere Weg war viel länger und führte über den Jordangraben bis Jericho, von dort durch die Wüste steil bergauf nach Jerusalem und zwei Gehstunden weiter nach Bethlehem. Welchen Weg das Paar genommen hat, wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass zu den üblichen Strapazen auch noch kam, dass Maria hochschwanger war.
Josef muss Grund und Boden in Bethlehem besessen haben, und den galt es steuerlich zu veranlagen. Nur die Kopfsteuer allein, die er für sich und seine Verlobte künftig würde entrichten müssen, hätte er auch in Nazareth regeln können. Für den Besitz musste er aber mit seiner Familie „in seiner Heimatstadt“vor einem Steuerbeamten erscheinen, um vor Zeugen, seinen Besitz und sein Alter anzugeben. Daraufhin wurde die Höhe der Zahlung festgelegt. un war Josef ein Baumeister, ein „tekton“, wie es im griechischen Urtext des Neuen Testaments heißt, und kein Zimmermann, wie Martin Luther es falsch übersetzt hat. Und mit diesem Beruf dürfte Josef sein Auskommen für sich und seine Familie gehabt haben – aber zusätzliche Steuern? Diese haben Josef vermutlich belastet.
Dazu kam Josefs Seelennot. War doch Maria schwanger geworden, ehe er mit ihr sexuellen Kontakt gehabt hatte. Da er „gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss er, sich in aller Stille von ihr zu trennen“. Unser heutiges Empfinden, dass wir mit Liebe verbinden, gebietet uns, in so einem Fall bei einer Person zu bleiben. Vor 2000 Jahren war dies im jüdischen Kulturkreis anders. Laut dem Buch Numeri 5, 11-31 war es jedem frommen Mann geboten, sexuelle Verfehlungen seiner Frau im Tempel anzuzeigen. Um ihre
NTreue herauszufinden, tauchte ein Priester auf Pergament geschriebene Flüche in Wasser, das die Beschuldigte zu trinken hatte. Wurde sie der Untreue überführt – dies war der Fall, wenn ihr Bauch anschwoll und die Hüften einfielen –, wurde sie zur Steinigung verurteilt. Hätte sich Josef von Maria trennen wollen, wäre dies nach seiner Logik nur „gerecht“gewesen: Wo kein Kläger, dort keine Steinigung. Auf Geheiß Gottes aber, der ihm im Traum erschienen war, „Josef fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen“, verstand er, dass Gottes Wege unerforschlich sind.
Nach drei, vier Tagen in Bethlehem angekommen, „kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, da in der Herberge kein Platz für sie war.“Die Bibel ist voll Anspielungen. Auch die Erwähnung, dass Maria das Neugeborene in Windeln gewickelt hat, ist ein theologischer Topos. Dazu muss man wissen, dass es auch im Judentum vor 2000 Jahren neben der Hochreligion, die die Priester verkündeten, einen Volksglauben gegeben hat. Ein solcher ging im Orient davon aus – und er tut es bis heute bei Juden, Christen und Muslimen –, dass Kleinkinder von Dämonen angegriffen werden. Wenn die Juden im Johannesevangelium fragen, ob Jesus vom bösen Geist besessen sei, kann die Bibel antworten: Nein, denn Maria hat alles getan, um die Dämonen abzuwehren: Sie hat ihn in Windeln gewickelt. Sehr schön ist dies in der Ikonografie der Ostkirche dargestellt, wo Jesus bis zum Hals eingewickelt ist. esus war, so der Evangelist, der Erstgeborene. Diesem fiel das gesamte Vermögen der Eltern zu. Dafür hat er für deren sozialen Schutz im Alter zu sorgen. Als Jesus am Kreuz hängt, überträgt er die Obsorge für Maria seinem Lieblingsjünger Johannes: „Siehe da, deine Mutter. Und fortan nahm sie der Jünger zu sich.“
Stellt sich die Frage, ob die Höhle, die in Bethlehem als jene der Geburt Jesu gezeigt wird, tatsächlich der historische Ort gewesen sein kann. Wenn im Evangelium von einem Stall die Rede ist, ist das nur scheinbar ein Widerspruch. Oft wurden
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