Was wir von Gandhi lernen können
Jahre lang habe ich Freunden und Bekann20ten
einen Weihnachtsbrief geschrieben. Als Versuch, die Botschaft des Festes in den Kontext unseres Zeitgeistes zu stellen. War bemüht, nicht in ausgetretenen Spuren zu wandeln, nicht religiös zu überfordern – und nicht in Süßlichkeit zu versinken. Mehr und mehr habe ich dabei die Schwierigkeit gespürt, Brücken zwischen dem Traum von Weihnachten und der gelebten Realität zu finden – aber auch, wie aufwendig und zeitraubend es geworden ist, mehr als 200 Briefe auf den Weg zu bringen. Für digitale Massensendungen bin ich zu altmodisch. Mein jüngster Brief kreist um den Advent, um das Warten – und um die Frage, was wir eigentlich erwarten. Viele Hoffnungen ändern sich ja im Lauf unseres Lebens; was bleibt, das ist ein vages Sehnsuchtsgefühl, verbunden mit der Aussicht auf „Geschenke“: gegenständliche, emotionelle, religiöse. Dabei richtet sich der Blick meist nach außen: auf das Kind in der Krippe. Auf Familie und Freunde. Auf gute Menschen. Auf Schicksale. Auf mehr Vernunft bei Mächtigen. Auf den Sieg der Herzen über Interessen ...
Unterwegs über den Athos sind mir zuletzt die Gedanken eines Inders zugefallen: Mahatma Gandhi. Er war gläubiger Hindu – und doch Bewunderer von Jesus, dessen Geburt wir jetzt feiern. Was er hinterlassen hat, das hat meine Hoffnung auf Geschenke ziemlich beschämt.
Der Asket und Pazifist Gandhi schreibt: „Verwechseln wir die Lehre Jesu nicht mit dem, was in der westlichen Zivilisation als ,Christentum‘ gilt. Es ist kein Christentum – es ist die Verneinung der Bergpredigt. Denn Jesus sagte: ,Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen.‘ Und er wusste, dass sich die ,Kultur des Geistes‘ der ,Kultur des Herzens‘ unterwerfen muss!“
Seit ich das gelesen habe, frage ich mich: Welches Fest – und Geschenk – haben wir uns wirklich verdient? Was haben wir beigetragen, dass es in und um uns besser, schöner und „heiler“wird? Aber auch: Ist nicht gerade dies der Glanz und Ansporn großer Feste – dass sie letztlich unverdient sind – und also die wahren Geschenke?
war Pressesprecher der Bundespräsidenten Kurt Waldheim und Thomas Klestil, seit 2003 ist er Herausgeber der Wochenzeitung „Die Furche“.