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men – insgesamt ausgezeichnet entwickelt hat.
Und auch unser demokratisches System hat sich bewährt und auf Stimmungen in der Bevölkerung durchaus reagiert. Von 1945 bis 1966 gab es eine Övp-spö-zusammenarbeit unter Führung der ÖVP. 1966 wurde aus einer Koalitionsregierung eine Övp-alleinregierung. Schon die nächste Wahl des Jahres 1970 brachte eine Alleinregierung (zunächst Minderheitsregierung) der SPÖ unter Bruno Kreisky. Von 1983 bis Anfang 1987 gab es eine Spöfpö-koalition, die von der SPÖ nach der Wahl Haiders zum Fpö-obmann (1986) aufgekündigt wurde und sodann für 13 Jahre wieder einer Koalition der Sozialdemokraten mit der ÖVP Platz machte.
Von 2000 bis 2006 gab es eine Övp-fpö-koalition unter Wolfgang Schüssel, deren Besonderheit unter anderem darin lag, dass der Vorsitzende der drittstärksten Partei den Bundeskanzler stellte.
Von 2006 bis 2017 regierte zum dritten Mal die Große Koalition (und zum zweiten Mal eine Große Koalition unter Führung der SPÖ) und seit 18. Dezember 2017 ist zum zweiten Mal eine Övp-fpö-koalition im Amt. er demokratische Wechsel war also in der gesamten Periode der Zweiten Republik nicht nur eine verfassungsmäßige Option, sondern gelebte Praxis.
Ich betone das deshalb, weil in der Demokratie jede Regierungskonstellation ein Ablaufdatum hat und auch in Zukunft haben wird. Die Frage ist nicht, ob, sondern nur wann.
Der Sozialdemokratie werden derzeit von manchen Beobachtern dennoch düstere Prognosen gestellt, die sich vor allem auf zwei Argumente stützen. Das erste Argument ist der Hinweis auf die langfristigen
Dgeb. 1938 in Graz, von 2004 bis 2016 Bundespräsident, zuvor Wissenschaftsminister, Nationalratsabgeordneter der SPÖ sowie Erster und Zweiter Nationalratspräsident.
Bücher: „Erinnerungen in Bildern und Geschichten“, gemeinsam mit Margit Fischer, 2016; „Eine Wortmeldung“, 2016; „Österreich für Optimisten“, mit Christoph Leitl, 2017. Veränderungen in der Parteienlandschaft in Österreich, zu denen auch langfristig sinkende Wählerstimmen für SPÖ und ÖVP gehören.
Und das zweite Argument ist der Hinweis auf den seit einigen Jahren rückläufigen Einfluss der Sozialdemokratie in Europa. Man darf diese Hinweise in der Sozialdemokratie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber man muss sie auch richtig einordnen und im Zusammenhang mit der tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklung in Europa betrachten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es neben der großdeutschen (deutschnationalen) Bewegung zwei große Weltanschauungsparteien mit einem weitgehend geschlossenen und kompakten Weltbild und einem nahezu in sich geschlossenen Informationskreislauf. Die Meinungsbildung bei Mitgliedern, Wählerinnen und Wählern war durch einen überdurchschnittlich hohen Organisationsgrad der Parteien und durch die relative Stärke der von den Parteien beeinflussten oder gelenkten persönlichen und schriftlichen Informationsquellen geprägt (Vertrauenspersonen, Parteizeitungen, Informationsveranstaltungen etc.).
Diese Umstände haben sich radikal geändert.
Der Einfluss parteiunabhängiger bzw. den unterschiedlichsten Interessen dienender Informationsquellen hat sich vervielfacht, „neue Medien“sind dazugekommen und die „Bindungskraft“der Parteien hat sich (fast) im gleichen Verhältnis reduziert. Das ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum sich aus einem Dreiparteiensystem in den letzten Jahrzehnten ein Fünf- oder Sechsparteiensystem entwickelt hat, in dem auch die stärksten Parteien nur selten mehr als ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinigen können. Dieses Phänomen gilt für alle „Weltanschauungsparteien“und ist durchaus nicht auf Österreich beschränkt. an kann die Wirksamkeit des sozialdemokratischen Gedankengutes aber nicht nur an Wählerstimmen und Mandatszahlen ablesen, sondern muss die gesellschaftliche Entwicklung als solche – auf die es ja letzten Endes ankommt – betrachten.
Tatsächlich bin ich zuversichtlich, dass auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit und Fairness, die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde (einschließlich Flüchtlingen), die Forcierung der Bildung für alle, die Unterstützung von Friedensbemühungen und die europäische Zusammenarbeit entscheidende Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung sein werden, denen allerdings entgegengesetzte und bremsende Kräfte gegenüberstehen.
Das war in der Vergangenheit immer so und wird auch in Zukunft nicht anders sein und doch bleibt bei entsprechenden Anstrengungen genügend Raum für die Zuversicht, dass wir auch in Zukunft Schritte in Richtung einer offenen, humanen und friedlichen Gesellschaft machen können. Dazu ist allerdings harte Arbeit, intellektuelle Anstrengung, Festigkeit gegenüber politischem Gegenwind und Mut zu Neuem erforderlich.
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