„Üben Sie heitere Gelassenheit“
Herr Professor Schmid, Sie beschäftigen sich mit der Kunst des Lebens und betonen, sie sei nicht Ihr Thema, weil Sie sie hätten, sondern weil Sie sie bräuchten. Darf ich fragen, wie weit fortgeschritten Sie bereits in der Kunst des Lebens sind?
WILHELM SCHMID: Ich lebe und ich habe den Eindruck, dass es auch ein sinnvolles Leben ist.
Sie haben Millionen von Büchern über Lebenskunst verkauft, sehen sich aber dennoch nicht als Teil der Glücksindustrie, die das Leben einfach- und schönredet. Um dieser Industrie zu entkommen, schreibe ich auch, dass das Glück nicht das Wichtigste im Leben ist. Ich kann Ihnen versichern, dass die Glücksindustrie diesen Satz gar nicht gerne hört.
Warum?
Weil er das Versprechen vom reinen Glück sabotiert. Das reine Glück gibt es in der Realität nicht. Die Glücksindustrie lebt aber vom Versprechen, dass es dieses gibt und nur dies und das zu machen ist, damit es sich sicher einstellt.
Das Paradies?
Ich glaube schon, dass solche Vorstellungen in den Hinterköpfen stecken. Die Paradiesvorstellung ist viele Jahrhunderte alt, die Vorstellung, dass es eine Welt gäbe, die vollkommen positiv ist – ohne Missverständnisse, Ärger. Lange Zeit war diese Paradiesvorstellung im Jenseits angesiedelt, die Glücksindustrie hat sie ins Diesseits geholt.
Gleichzeitig wird diese Paradiesvorstellung durch die Realität tagtäglich desillusioniert.
Ja und das ist es auch, was mich extrem beunruhigt. Wenn ich sehe, dass Menschen unglücklich werden, nur weil sie das reine Glück erwarten, läuft etwas verkehrt. Es ist nichts gegen das Glück zu sagen, Menschen können dazu auch etwas beitragen, aber das reine, dauerhafte Glück gibt es nicht. Wenn Menschen das wollen, machen sie sich unglücklich.
Was können Menschen zu ihrem Glück selbst beitragen?
Das hängt davon ab, was guttut. Wenn mir eine Tasse Kaffee oder ein Gespräch mit einem guten Freund guttut, ist das leicht umzusetzen. Dieses Wohlfühlglück ist machbar. Das einzige Problem ist, dass wir dieses Wohlfühlglück nicht ständig haben können. Das sind Momente, die wunderschön sind, aber wieder vergehen.
Und wer diese Kürze nicht akzeptiert, bekommt Probleme mit der Dosierung?
Ich will nicht predigen, nur anregen, es selbst zu probieren. Nehmen wir an, es macht jemanden glücklich, seine Lieblingsspeise zu essen. Mein Vorschlag wäre: Iss sie morgens, mittags, abends und am nächsten Tag wieder morgens, mittags, abends. Wie lange wird es noch das Lieblingsessen sein? Ein junger Italiener hat uns das Experiment abgenommen und gezeigt, wie es ist, pausenlos Sex zu haben. Er hat es mit seiner frisch angetrauten Frau auf drei Tage und drei Nächte gebracht. Anschließend musste er wegen völliger psychischer und physischer Erschöpfung ins Spital eingeliefert werden. So sieht das mit dem Glück aus.
Sie verweisen in unserem Neujahrsbuch „Auf der Suche nach dem Glück“auch auf den Kaffeegenuss von Robbie Williams.
Er liebt Espresso, aber auch hier gibt es ein Quantum, das definitiv zu viel ist. Er brachte es auf 36 Tassen am Tag und hatte daraufhin einen Zusammenbruch. Den permanenten Rausch gibt es nur um den Preis vollkommener Erschöpfung. Das Glück in einer Art Dauerlust zu suchen, erscheint als der sicherste Weg, unglücklich zu werden.
Viele neigen dennoch dazu, sich Dauergenuss zu wünschen. Dieses Problem haben leider Philosophen des 18. Jahrhunderts mit ihrer Definition von Glück verursacht. Sie haben Glück als die Maximierung der Lust definiert. Das war ein großer Irrtum, weil Maximierung der Lust heißt das Maximum, also 36 Tassen Espresso am Tag oder drei Tage und Nächte Sex. Glück ist aber das Optimum der Lust und nicht das Maximum.
Der Philosoph Wilhelm Schmid hat in unserem heurigen Neujahrsbuch eine Anleitung für ein geglücktes Leben verfasst. Ein Gespräch über die Kunst, Maß und Mitte zu finden.
Warum fällt es so schwer, das richtige Maß zu finden?