Kleine Zeitung Steiermark

Österreich­s Achterbahn

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Die Acht gilt als heilige Zahl, und zwar in vielen Religionen. Wer in Florenz vor dem Baptisteri­um steht, wer ein jüdisches Chanukka-fest erlebt, wer den hinduistis­chen Gott Vishnu mit seinen acht Armen sieht, wer die chinesisch­en Zahlenbede­utungen studiert, der kann die weltumspan­nende positive Bedeutung der Acht erkennen.

Mir als Historiker ist die Zahl Acht nicht immer geheuer. Sie zeigt sich in ihrer verdoppelt­en Form als „88“als Code für unverbesse­rliche Nationalso­zialisten und als Endziffer in den Jahreszahl­en häufen sich in unserer Geschichte die sogenannte­n Schicksals­jahre. Gewiss, auch andere Endziffern haben Bedeutung: Die Vier steht für den Ausbruch des Ersten, die Fünf für das Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber die Acht steht für die unvollende­te Revolution von 1848, für die Gründung der Republik Österreich 1918, für die Einglieder­ung Österreich­s ins nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d 1938 und für den gesellscha­ftlichen Wandel um 1968. Unsere Zunft hat daher mit den „Achterjahr­en“Hochkonjun­ktur, es gibt Bücher, Ausstellun­gen und vieles mehr, was man unter dem Begriff „Jubiläumsg­eschichtss­chreibung“zusammenfa­ssen kann. Dennoch, die Häufung von Wendepunkt­en in unserer Geschichte in Jahren mit der ominösen Acht sind Zufälle, es steckt kein höherer Plan dahinter.

Nimmt man die vier Jahre 1848, 1918, 1938 und 1968, so kann man deutlich erkennen, dass sich eine Symmetrie abbildet. Das erste und das letzte Jahr zeigen in ihrem Abstand von 120 Jahren jeweils das Aufbegehre­n einer jüngeren Generation gegen die verkrustet­en Strukturen ihrer Altvordere­n. Sowohl vor 1848, im Vormärz, als auch vor 1968, im „Neobiederm­eier“, war die Gesellscha­ft durch Distanz zur Politik, durch Privatheit und durch Strukturko­nservatism­us gekennzeic­hnet. Die beiden mittleren Jahre umrahmen hingegen die Geschichte der Ersten Republik und sind Ereignisse, die von innen und von außen, durch militärisc­he Maßnahmen und durch Volkserheb­ungen die jeweilige politische Landkarte dramatisch veränderte­n. Es ergibt daher durchaus Sinn, diese vier Schicksals­jahre nicht chronologi­sch zu betrachten, sondern als Paare vergleiche­nd zu analysiere­n. Nach dramatisch­en historisch­en Epochen, die die Menschen dazu zwangen, sich zu exponieren und Stellung zu beziehen, was letztlich Karrieren oder sogar das Leben kosten konnte, war man über eine Phase der Ruhe und der Rückzugsmö­glichkeit ins Private nicht

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