Verlorener Vater, verlorene Kinder, verlorene Welt
Monarchische Republik Österreich: Glanz und Gold der Welt von gestern sind hierzulande immer noch sehr heutig.
In den 1970ern wird ein Mittelschullehrer bei einer Straßenumfrage von einem Orffernsehreporter angesprochen, wie er denn die Zukunft Österreichs sehe. Er nuschelt zögerlich ins Mikrofon: „Wir werden ... im Sinne Österreichs ... immer wieder zugleich in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen, denn ... unsere Vergangenheit ist die Zukunft.“
Der verlegene Passant mit Hut ist freilich kein Lehrer zum Vergessen, sondern ein Unvergesslicher: Helmut Qualtinger. In der Ironie des bärbeißigen Psychoanalytikers unter den Kabarettisten steckt jedoch nicht bloß ein Körnchen, sondern wohl die ganze Wahrheit über das Land und seine Menschen. Auch heute noch?
„Die Welt von Gestern“ist nicht nur das gleichnamige Buch von Stefan Zweig, in dem der Schriftsteller 1944 vom Exil in Brasilien aus in seinen Erinnerungen den Untergang der bürgerlichen Welt in zwei großen Kriegen und die Flucht Europas und Österreichs vor sich selbst beklagte: „Da, am 28. Juni 1914, fiel jener Schuss in Sarajewo, der die Welt der Sicherheit und der schöpferischen Vernunft, in der wir erzogen, erwachsen und beheimatet waren, in einer einzigen Sekunde wie ein tönernes Gefäß schlug.“
Diese zersprungene Welt von gestern und vorgestern ist den Österreichern immer noch heutig. Ihre Vorfahren waren Teil eines mächtigen Kaiserreichs, in dem die Sonne bis nach Mexiko hinüber nie unterging. Und die Staatsform danach? Eine hühnerkeulenartige! Die Verfassung des übrigen Restes begann wie folgt: „Deutsch-österreich ist eine Republik, sie ist Bestandteil des Deutschen Reiches.“Für Erwin Ringel war das „ein Staat, der mit dem ersten Satz, den er aussprach, zugleich schon Selbstmord beging“. Und der Primarius der „österreichischen Seele“diagnostizierte 1984 neben vielen anderen Verwerfungen im typisch Österreichischen auch die treibende Kraft hinter der immerwährenden Kaiser-nostalgie – „die Suche nach dem großen Vater in einer vaterlosen Gesellschaft“. in tausend Stücke
sah es 1963 in seiner Dissertation ähnlich: „Die Trauer um eine feste und sichere, in alten und beständigen Werten verankerte Welt verband sich in der Erinnerung oft mit dem Heimweh nach der Kindheit, nach den Düften und Farben, die jene Atmosphäre unauslöschlich dem Gedächtnis eingeprägt hatten“, schrieb der Triestiner Autor in „Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur“.
Verlorene Kinder. Verlorene Welt. Da brauchte und braucht es Ersatz. Am besten instrumentalisiert wurde der Mythos von der guten alten Zeit bis in die Gegenwart herauf wohl von der Fremdenverkehrs-, Musik- und Filmindustrie: Land der Burgen, Land der Schlösser. Glanz und Gloria und Gloriette. Der „Radetzkymarsch“, gestampft von den Wiener Philharmonikern beim Neujahrskonzert. Ralph Benatzkys „Im Weißen Rößl“, in dem Franz Joseph mitleidsvoll besungen wird: „Draußen im