Buch und Lesungen
Die Kleine Zeitung
6.2.
7. 2.
8. 2.
9. 2. Außerdem
von „Unter der Drachenwand“ist das Städtchen Mondsee im Salzkammergut, wo der gleichnamige Berg schroff und verlockend zugleich in den Himmel ragt. Dorthin verschlägt es 1944 den 24 Jahre jungen Soldaten Veit Kolbe nach einer Verwundung beim Fronteinsatz in Russland. „So hatte mich der Krieg auch diesmal nur zur Seite geschleudert“, lautet einer der ersten, lapidaren Sätze des Romans, der sich mehrheitlich als Tagebuch des Protagonisten erweist.
Dem großen Grauen ist dieser Veit, dem die Jugendjahre gestohlen wurden, in dieser vergleichsweise noch einigerma- ßen intakten Region durch seine verletzungsbedingte Auszeit entkommen, dem erlebten Horror und den Albträumen nicht.
Faszinierend ist erneut Arno Geigers thematische und sprachliche Wandlungsfähigkeit. Mit Heldentum hat er nichts im Sinn. All seine geniale Beobachtungsgabe gilt den Durchschnittsmenschen, deren Wesenszüge er, einem Innenwelt-forscher gleich, Schicht für Schicht freilegt. Nicht mit großen Erkenntnissen gehen Geigers Geschöpfe schwanger, aber sie bringen wunderbare, feinsinnige und ironische Einsichten hervor. Etwa diese: „Der Mantel ist die Kleidung des Übergangs, die Mütze verhauptschauplatz bindet die Welten.“So viel zum Thema Kälte und Seelenfrost.
Der 49-Jährige schuf einen mit enormer Präzision und Einfühlungsgabe geformten Bau aus Worten, in dem ein ganzes Barbaren-reich Unterkunft gefunden hat, verkörpert durch Opportunisten wie Veits Vater, stumpfe Mitläufer, Endsieggläubige und einige Wenige, die Resthoffnungen hegen. Wissend, dass die Ewigkeit Zeit hat, aber das Leben nur eine kurze Spanne währt.
Sie alle leben uns ihr Dasein vor, in dessen Enge ein Übermaß an Elend und Dummheit Platz hat – aber auch die erste große Liebe. Reich ist die Akustik und der Nachhall der Gedanken in diesem Sprach-bau, kristallklar die Sprache als Gegenpol zur braunen Suppe, beklemmend sind die eingestreuten Briefe, etwa von einer jüdischen Familie, die allzu lange nicht wahrhaben will, was längst zur schauderhaften Wahrheit wurde. Nie wird angeklagt; der schlichte Ton ist es, der ein vernichtendes Urteil spricht. Ein großartiges Meisterwerk über Liebe, Macht und Ohnmacht, im Himmel, ganz oben, im Schlamm, ganz unten, zugleich.