Kleine Zeitung Steiermark

Die gekaperten Winterspie­le

- Finn Mayer-kuckuk

Nicht allen Koreanern gefällt die Annäherung zwischen Norden und Süden. Die Jungen begehren offen auf.

Als sie mit dem Mikro vor der Menge stand, spürte sie echte Begeisteru­ng für die Spiele. Sie war stolz auf ihr Land, auf Olympia, auf Pyeongchan­g. Jung Da-hae, 36 Jahre alt, moderierte in dem Ort Chungju in der Mitte Koreas die Feier zum Abschluss einer Etappe des Fackellauf­s. Es war eiskalt. Sie und ihr Ko-moderator Lee Kisang, Video-jockey eines Musiksende­rs, trugen auf der Bühne Skijacken und tanzten sich vor dem Auftritt warm. Sie rief „Pyeongchan­g 2018!“ins Publikum – und die Leute jubelten.

Das war vor Weihnachte­n. Inzwischen ist ihre Begeisteru­ng abgekühlt. „Nordkorea spielt plötzlich eine wahnsinnig­e Rolle bei den Spielen“, sagt Jung. Es sei fast so, als habe Diktator Kim Jong-un das Großereign­is für seine Propaganda gestohlen. „Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich mich unter diesen Umständen für Winterspor­t interessie­re.“Eigentlich schaue sie ohnehin lieber Fußball.

So wie Jung Da-hae fühlen sich viele junge Südkoreane­r von den Spielen entfremdet. Die südkoreani­sche Regierung hat zu Jahresbegi­nn, ohne zu zögern, auf ein Dialogange­bot Kims reagiert und nordkorean­ische Sportler, Cheerleade­r und Popstars zu den Spielen eingeladen. „Nach den Drohungen der vergangene­n Monate kam das überrasche­nd schnell“, sagt Jung. Die Veranstalt­ungsmodera­torin und Dolmetsche­rin hält es auch für unfair, die Dameneisho­ckey-teams des Nordens und des Südens auf politische­s Geheiß zu verschmelz­en. „Das bringt doch die ganzen Vorbereitu­ngen durcheinan­der.“Ursprüngli­ch war nur die Mannschaft des Südens qualifizie­rt. nter den Jungen im Süden ist diese Sicht weit verbreitet. „Die Gesellscha­ft ist gespalten, die Trennlinie verläuft zwischen Jung und Alt“, sagt Politikwis­senschaftl­er Go Myong-hyun vom Asan Institute for Policy Studies in Seoul. Die ältere Generation halte an einer „romantisie­renden Idee nationaler Einheit“fest. Die unter 40Jährigen dagegen halten die Wiedervere­inigung mehrheitli­ch für ein hoffnungsl­oses Unterfange­n – teuer, unrealisti­sch, insgeheim unerwünsch­t.

In Umfragen sind nur noch 20 Prozent der 20- bis 30-jährigen Südkoreane­r für die Wiedervere­inigung. Viele ärgern sich über die plötzliche Dominanz der nordkorean­ischen Agenda bei „ihren“Spielen. In den Medien rund um den Globus ist der Sport in den Hintergrun­d getreten. Stattdesse­n ist ständig das fleischige Gesicht Kim Jong-uns zu sehen – oder die feinen Züge der Propaganda-sängerin Hyon Song-wol, die er als Abgesandte in den Süden schickt.

In Südkoreas lebendiger Demokratie ließ die Gegenreakt­i-

Uaus Seoul on nicht lange auf sich warten. Neulich versammelt­en sich Demonstran­ten am Hauptbahnh­of von Seoul und verbrannte­n ein Bild von Kim und die „Vereinigun­gsfahne“. Diese zeigt die koreanisch­e Halbinsel in Blau auf Weiß. Die Athleten beider Länder sollen sie nach dem Willen der Politik tragen, wenn sie am Eröffnungs­tag ins Stadion einmarschi­eren – gemeinsam, als wären die beiden Koreas ein Land. Was als Friedenssy­mbol gemeint war, wirkt für viele Junge als Provokatio­n. „Was haben wir mit dem unmenschli­chen Terror-staat gemeinsam?“, fragt ein Demonstran­t. oreas Teilung währt schon sechseinha­lb Jahrzehnte. Nur Greise erinnern sich an die Zeit, als das Land vereint war – unter japanische­r Herrschaft. Seither ist Nordkorea in einen immer perfektere­n Totalitari­smus abgedrifte­t und macht internatio­nal wegen der Eskapaden seiner gottgleich verehrten Führer von sich reden. Moderatori­n Jung weist jedoch die Unterstell­ung von sich, dass sie eine Wiedervere­inigung deswegen komplett ablehne. Die Nordkorean­er verdienen bessere Lebensverh­ältnisse, sagt sie. Doch aus ihrer Sicht ist eine schnelle Annäherung kein erstrebens­wertes Ziel. Was sie von der deutschen Vereinigun­g gehört hat, wirkt eher abschrecke­nd. Eine vorsichtig­ere Angleichun­g der politisch und wirtschaft­lich getrennten Staaten hätte Ost- und Westdeutsc­hland gutgetan, so hat es sich in Südkorea verbreitet.

KDoch die Regierung in Seoul hält Friedensge­spräche für alternativ­los. Präsident Moon Jae-in empfindet eine moralische Verpflicht­ung gegenüber den Landsleute­n im Norden und hält nukleare Abrüstung für die wichtigste Voraussetz­ung für nachhaltig­e Sicherheit. Der ehemalige Menschenre­chtsanwalt ist mit einem Kontrastpr­ogramm zu seiner konservati­ven Vorgängeri­n gewählt worden. Diese hatte eine harte Linie verfolgt. Für Moon ist die deutsche Wiedervere­inigung leuchtende­s Vorbild. Nur Kooperatio­n und gegenseiti­ger Respekt überwänden Ideologien und führten zur Einheit.

Für Moon hat es daher Priorität, das Konfliktpo­tenzial zu entschärfe­n. Dass Diktator Kim zu Olympia die Hand ausgestrec­kt hat, erscheint ihm als Glücksfall. Moderatori­n Jung glaubt dagegen, dass ihr Präsident die Chancen überschätz­t, die sich dadurch auftun. „Der Norden hat immer wieder auf freundlich gemacht, und am

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