Kurz und die Fallhöhe der Erwartungen
Paul Ronzheimer zeichnet in seiner Kurzbiografie ein kritisches Bild des Kanzlers.
Gleich eines vorweg: Enthüllungen über Sebastian Kurz sucht man in der druckfrischen Biografie, die im Einverständnis mit dem Kanzler vom Berliner „Bild“-redakteur Paul Ronzheimer verfasst wurde, vergeblich. Dass Kurz als junges, aufgewecktes Einzelkind in einem behüteten Elternhaus in einem Arbeiterbezirk aufgewachsen ist, viel Zeit bei der Oma im Waldviertel verbracht, in der Schule eine eigene Firma für Nachhilfe gegründet hat, nicht auf Anhieb bei der Jungen ÖVP aufgenommen wurde, mit seiner Langzeitfreundin zweimal Schluss gemacht hat, ist bekannt. Auch sein Werdegang vom Staatssekretär zum Kanzler wurde hinreichend dokumentiert, mit der Flüchtlingskrise als Karriereturbo. Erstmals kommen seine Eltern zu Wort.
Einzige Neuigkeit, die Kurz bisher unter dem Siegel der Verschwiegenheit nur einzelnen Journalisten erzählt hatte: Dass er im Finale der Koalitionsverhandlungen mit einem Aufstand der Övp-landeshauptleute konfrontiert war, weil sie bei der Ministerliste von ihm übergangen wurden. „Es waren die schwierigsten Stunden seit der Wahl. Am Ende ging es nur mit einem Machtwort.“
Trotz des Nahverhältnisses nimmt sich Ronzheimer kein Blatt vor den Mund. Er würdigt Kurz als „Menschenfänger“, als „Meister der medialen Inszenierung“, als „Volkstribun“, der ausgestattet mit dem un- trüglichen Gespür für den Zeitgeist, fürs Populistische zielstrebig an seiner politischen Karriere gebastelt hat. Dass ein Jahr vor der Machtübernahme ein Masterplan für den Weg ins Kanzleramt vorlag, war stets dementiert worden. Der Autor erinnert auch an den Gegenwind, dem der damals 24-Jährige nach der Bestellung zum Staatssekretär ausgesetzt war.
In einem Punkt überrascht Ronzheimer. Dass er im Schlusskapitel dieselbe Frage aufwirft wie die beiden Autorinnen der „nichtautorisierten“Kurz-biografie von Barbara Toth und Nina Horaczek: Wer ist Kurz wirklich? „Kurz ist so makellos und nahezu fehlerfrei in seinem Auftreten, dass man nur schwerlich sagen kann, wie und wer er wirklich ist.“Ungewöhnlich für jemanden, der ganz nahe an den Kanzler herangelassen wurde.
Die Biografie endet alles andere als schmeichelhaft und hagiografisch: „Migration ist ein wichtiges Thema, wird auf Dauer nicht reichen, um eine politische Karriere zu tragen.“Und: „Der junge Kanzler wird etwas brauchen, was von größerer Dauer ist als die politische Karriere. Hier wird er sich beweisen müssen. Es wird sich zeigen, ob Kurz den Mut und den Atem hat, tief greifende Reformen umzusetzen“, ohne ständig auf Umfragen zu schielen. „Noch ist Kurz das Wunderkind. Niemand fällt tiefer als ein Wunderkind.“ Paul Ronzheimer. Sebastian Kurz, Herder, 24 Euro.