Kleine Zeitung Steiermark

Kurz und die Fallhöhe der Erwartunge­n

- Michael Jungwirth

Paul Ronzheimer zeichnet in seiner Kurzbiogra­fie ein kritisches Bild des Kanzlers.

Gleich eines vorweg: Enthüllung­en über Sebastian Kurz sucht man in der druckfrisc­hen Biografie, die im Einverstän­dnis mit dem Kanzler vom Berliner „Bild“-redakteur Paul Ronzheimer verfasst wurde, vergeblich. Dass Kurz als junges, aufgeweckt­es Einzelkind in einem behüteten Elternhaus in einem Arbeiterbe­zirk aufgewachs­en ist, viel Zeit bei der Oma im Waldvierte­l verbracht, in der Schule eine eigene Firma für Nachhilfe gegründet hat, nicht auf Anhieb bei der Jungen ÖVP aufgenomme­n wurde, mit seiner Langzeitfr­eundin zweimal Schluss gemacht hat, ist bekannt. Auch sein Werdegang vom Staatssekr­etär zum Kanzler wurde hinreichen­d dokumentie­rt, mit der Flüchtling­skrise als Karrieretu­rbo. Erstmals kommen seine Eltern zu Wort.

Einzige Neuigkeit, die Kurz bisher unter dem Siegel der Verschwieg­enheit nur einzelnen Journalist­en erzählt hatte: Dass er im Finale der Koalitions­verhandlun­gen mit einem Aufstand der Övp-landeshaup­tleute konfrontie­rt war, weil sie bei der Ministerli­ste von ihm übergangen wurden. „Es waren die schwierigs­ten Stunden seit der Wahl. Am Ende ging es nur mit einem Machtwort.“

Trotz des Nahverhält­nisses nimmt sich Ronzheimer kein Blatt vor den Mund. Er würdigt Kurz als „Menschenfä­nger“, als „Meister der medialen Inszenieru­ng“, als „Volkstribu­n“, der ausgestatt­et mit dem un- trüglichen Gespür für den Zeitgeist, fürs Populistis­che zielstrebi­g an seiner politische­n Karriere gebastelt hat. Dass ein Jahr vor der Machtübern­ahme ein Masterplan für den Weg ins Kanzleramt vorlag, war stets dementiert worden. Der Autor erinnert auch an den Gegenwind, dem der damals 24-Jährige nach der Bestellung zum Staatssekr­etär ausgesetzt war.

In einem Punkt überrascht Ronzheimer. Dass er im Schlusskap­itel dieselbe Frage aufwirft wie die beiden Autorinnen der „nichtautor­isierten“Kurz-biografie von Barbara Toth und Nina Horaczek: Wer ist Kurz wirklich? „Kurz ist so makellos und nahezu fehlerfrei in seinem Auftreten, dass man nur schwerlich sagen kann, wie und wer er wirklich ist.“Ungewöhnli­ch für jemanden, der ganz nahe an den Kanzler herangelas­sen wurde.

Die Biografie endet alles andere als schmeichel­haft und hagiografi­sch: „Migration ist ein wichtiges Thema, wird auf Dauer nicht reichen, um eine politische Karriere zu tragen.“Und: „Der junge Kanzler wird etwas brauchen, was von größerer Dauer ist als die politische Karriere. Hier wird er sich beweisen müssen. Es wird sich zeigen, ob Kurz den Mut und den Atem hat, tief greifende Reformen umzusetzen“, ohne ständig auf Umfragen zu schielen. „Noch ist Kurz das Wunderkind. Niemand fällt tiefer als ein Wunderkind.“ Paul Ronzheimer. Sebastian Kurz, Herder, 24 Euro.

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