Der andere Opernball Was die Kameras nicht zeigen
Bis Mitternacht sind die Gäste des Opernballs Statisten eines Films, den sie nie zu sehen bekommen. Das Fest beginnt, sobald die Kameras abziehen. Bericht von einem gekaperten Ball.
In Zweierreihen warten die Kinder vor dem Seiteneingang der Staatsoper. Der große Ball der Erwachsenen ist vorbei, für sie gibt es heute auf der riesigen Tanzfläche Mozarts „Zauberflöte“in sehr geraffter Form. Vor dem Haus wuchten noch langstielige Kräne rostige Container auf Lastwagen. Rot verkleidet hatten sie am Vorabend die Illusion eines prächtigen Portals erweckt, eines zugigen Warteraums für jene, die ihren Einzug gerne öffentlich zelebrieren.
Es ist früh am Abend des prächtigsten Balls der Saison. Stumm und reglos wachen Bodyguards vor dem verlassenen Eingang. Einsam friert die Moderatorin von Puls 4 im ärmellosen Kleid. Es hat um die null Grad. Ein paar Ballgäste streifen vor den Garderobezelten auf und ab auf der Suche nach undichten Stellen. Vergeblich. Vor 20.40 Uhr wird die Tür nicht aufgehen.
Drinnen ist Fotosession. Der Direktor muss sich mit der Organisatorin des Ereignisses auf der Feststiege ablichten lassen, eine Pflichtübung. „Handkuss“, fordern die Fotografen. „Warum Handkuss?“, erwidert Dominique Meyer und blickt geradeaus. Alles, was recht ist.
Gespenstisch ruhig liegt der blumengeschmückte Saal da. Verloren hocken ein paar Musiker auf ihren vergoldeten Stühlen. Das Ballett nutzt die Chance, auf der größten Tanzfläche der Republik Selfies zu inszenieren. Unpraktisch baumeln die langen Roben an den Damen, an Spitzentanz ist nicht zu denken in dieser Aufmachung. Am Balkon üben Alfons Haider und Mirjam Wechselbraun ihren Einstieg. Wo sonst freudig erregte Opernbesucher ihre Roben abgeben, lagern frische Austern auf Eis, Champagner kühlt in Eisschränken. ie Welt der Illusion endet beim eisernen Vorhang. Dahinter erinnern Schrammen an den Wänden: Hier wird gearbeitet und das darf an diesem Abend auch jeder sehen. Roter und petrolgrüner Linolboden, pflegeleicht und strapazierfähig, ersetzt das Parkett. Überall Warnungen vor Stromschlägen und Betretungsverbote für Nichtbefugte. Rot leuchtet die Lampe, die an Opernabenden vor Zutritt warnt. Aus der Kantine darf das Geschirr nicht mitgenommen werden, verlangt ein Zettel. Wer die falsche Tür öffnet, steht plötzlich vor einer Kiste Hirschgeweihe. Eine Schachtel voller edler Spazierstöcke lädt zur Mitnahme ein.
Kartonschilder verweisen auf die neuen Funktionen der kahlen Nutzräume: Heute lockt die
DSushi-bar Madama Butterfly Hungrige in Zonen, die sonst zäher Arbeit an der Kunst vorbehalten sind. Die Wolfsschlucht, frühromantischer Schreckensort aus Webers Schaueroper „Der Freischütz“, wartet mit Delikatessen des „Schwarzen Kameels“auf. ährend zu ebener Erde Debütantinnen ihre Krönchen artig neigen, fegt hier ein General in weißer Galauniform zu den aufstachelnden Klängen der Steirischen Streich über den gebohnerten Boden. Auerhahn, Dachs
Wund Wolf drohen ausgestopft von den Wänden, Waldprojektionen versetzen das Publikum in wilde Klüfte. nterm plump stilisierten Bundesadler müssen Politiker und ihre Gäste unterdessen bewundern, was die Oper diesmal als Visitenkarte vorlegt. Es ist die Stunde der Kunst. Niemand soll gehen, ohne zu wissen, was hier sonst passiert: Oper vom Feinsten, gelegentlich Operette.
Draußen vor dem Saal geht es um Geld. Im Schwind-foyer, dort, wo die Firma Gerstner
U