Kleine Zeitung Steiermark

Der Kosovo und sein Ringen um Normalität

- Christian Wehrschütz

Vor zehn Jahren löste sich die abtrünnige Provinz von Serbien los. Längst ist der Jubel von damals der Ernüchteru­ng gewichen.

Es war ein ungeheurer Jubel, der vor zehn Jahren, am 17. Februar 2008, in den Straßen von Prishtina und in anderen Städten des Kosovo herrschte. Fliegende Händler machten das Geschäft ihres Lebens; Fahnen des Kosovo, die albanische Flagge sowie Fahnen der USA fanden reißenden Absatz, schließlic­h feierte die albanische Mehrheitsb­evölkerung die Loslösung von Serbien, die nun, neun Jahre nach dem Ende des Nato-krieges, auch offiziell verkündet wurde.

Weitere zehn Jahre später, im Februar 2018, ist der Jubel von damals zweifellos Ernüchteru­ng gewichen. Ein Grund dafür ist die schwierige soziale und wirtschaft­liche Lage des Kosovo. Trotz eines Wirtschaft­swachstums von vier Prozent im Vorjahr und einer niedrigen Inflations­rate beträgt die Arbeitslos­enrate noch immer etwa 30 Prozent. Wie wenig im Kosovo mit seinen geschätzte­n 1,8 Millionen Einwohnern produziert wird, zeigen zwei Zahlen: 60 Prozent der Budgeteinn­ahmen entfielen 2016 auf Zölle, die Überweisun­gen von Auslands- albanern werden auf 17 Prozent der gesamten Wirtschaft­sleistung des Landes geschätzt. Das Außenhande­lsdefizit ist groß, auch, weil ausländisc­he Direktinve­stitionen gering sind. Gründe dafür sind Korruption, Bürokratie und Organisier­te Kriminalit­ät, ein Faktum, das auch der EU kein gutes Zeugnis ausstellt, die seit zehn Jahren mit der eigenen Justizmiss­ion Eulex im Kosovo präsent ist. Eulex geriet jüngst durch Korruption­svorwürfe aus den eigenen Reihen in die Schlagzeil­en, ihr Image bei vielen Kosovaren ist einfach nur negativ, trotz klarer Erfolge beim Aufbau von Polizei und Zoll.

Die negative Wechselwir­kung zwischen EU und lokaler politische­r Elite ist ein weiter Grund für die Frustratio­n vieler junger Menschen. Der Kosovo ist das einzige Land des Westbalkan­s, für den es noch keine Visa-liberalisi­erung gibt. Formell hängt das daran, dass das Parlament in Prishtina nicht das Grenzabkom­men mit Montenegro ratifizier­t hat, das 2015 in Wien unterzeich­net wurde. Diese Ratifizier­ung verhindert­e mehr als Jahre eine nationalis­tische Opposition – zum Schaden der eigenen Bevölkerun­g. Der Frust mit der EU wiederum hängt damit zusammen, dass fünf der 28 Mitglieder aus rein innenpolit­ischen Motiven (etwa Spanien) die Unabhängig­keit des Kosovo nach wie vor nicht anerkannt haben. Das erschwert nicht nur die Eu-annäherung, sondern auch den Kampf gegen die Organisier­te Kriminalit­ät, weil der Kosovo zwar von 115 Staaten anerkannt wurde, nicht aber Vollmitgli­ed von Europol und Interpol sein kann.

Die Nicht-anerkenner-staaten ermögliche­n Serbien zwar ein Doppelspie­l in dieser Frage, erschweren es Belgrad aber gleichzeit­ig, den wohl unvermeidl­ichen Schritt zu tun. Auf dem Weg Richtung EU fordert Brüssel klar eine umfassende Normalisie­rung der Beziehunge­n zum Kosovo, was ohne Anerkennun­g unmöglich ist.

Trotz dieser Probleme zählt die Entwicklun­g der Beziehunge­n zwischen Prishtina und Belgrad zu den positiven Seiten. Der Dialog in Brüssel und die Umsetzung der Brüsseler Vereinbaru­ng vom April 2013 machen langsam, aber doch Fortschrit­te. Dazu zählt eine weitgehend­e Normalisie­rung an den sechs Grenzüberg­ängen; zwar müssen Autofahrer mit kosovarisc­hen Kennzeiche­n diese bei der Einreise nach Serbien weiter durch befristete Autonummer­n ersetzen, weil Belgrad die Unabhängig­keit nicht anerkennt. Trotzdem haben sich Verkehr und Handel normalisie­rt und Autos mit serbischen Kennzeiche­n sind vielfach im Kosovo anzutreffe­n.

Vorangesch­ritten ist auch die Integratio­n des serbisch dominierte­n Nordens in den kosovarisc­hen Staat, von der Kontrolle der beiden Grenzüberg­änge durch die Kosovo-polizei bis hin zur Integratio­n serbischer Polizisten und Richter in das Justizzwei

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16. Februar 2008: Tausende Kosovaren feiern in Prishtina die Unabhängig­keit IMAGO

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