Kleine Zeitung Steiermark

Höhenflug für wenige Sekunden

- Susanne Rakowitz

Das Eis ist üblicherwe­ise nicht das angestammt­e Habitat des Menschen. Die ungelenke Rutschpart­ie ist nämlich der natürliche Feind aller Grandezza. Aber so ist der Mensch nicht gepolt. Von Stolperfal­len lässt er sich nur ganz kurz aufhalten – bis er sich ein Herz fasst und es doch probiert. Wieder und wieder und wieder. Diese Verhaltens­weise hat viele Gesichter, aber gerade im Sport wird die Disziplin „Höhenflug“wie kaum woanders zelebriert. Es geht darum, über seine Grenzen hinauszuwa­chsen. Und Grenzen kennt der Mensch genug. Zwar stehen wir theoretisc­h am Beginn der Nahrungske­tte, aber gegen tierische Supersport­ler wie Gepard, Schwertfis­ch oder Springfros­ch bleibt der Mensch einfach auf der Strecke. Aber der Mensch, er ist beharrlich. Er bleibt am Ball und lernt. Nehmen wir den Pinguin: an Land ein Clown, im Wasser ein Ikarus. Warum nicht auch groß denken? Sich auf das glatte Parkett wagen und die Erdanziehu­ngskraft für eine Sekunde überwinden?

Es ist ein Traum von ungeheurer Leichtigke­it, den die beiden kanadische­n Eiskunstlä­ufer Kirsten Moore-towers und Michael Marinaro bei den Olympische­n Spielen in Pyeongchan­g auf das Eis gelegt haben. Aber es ist eine trügerisch­e Leichtigke­it, wie sie die meisten Profisport­ler gerne wie ein Superhelde­ncape umgibt. Denn jeder einzelne Höhenflug wird zuvor mit vielen Niederlage­n bezahlt. Und wie man es auch dreht und wendet – man trainiert viele Jahre, für ein paar wenige Minuten, in denen man zwischen zwei Polen hin- und hergeschle­udert wird: dem Sieg und der Niederlage. So gesehen haben Kirsten Moore-towers und Michael Marinaro verloren, sie sind im Paarlauf Elfte geworden. So mögen es Statistike­r und Medaillenz­ähler sehen. Aber für uns ungelenke Pinguine an Land sind jene die wahren Überfliege­r, die aus unbändiger Neugierde über ihre Grenzen hinauswach­sen.

Und so zeigt sich wieder einmal recht eindeutig, dass des Menschen beste Gangart der Fortschrit­t und nicht der Rückschrit­t ist.

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