Kleine Zeitung Steiermark

Kandidat mit Neigung zu alternativ­en Fakten

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„Waldheims Walzer“: Ruth Beckermann­s Doku zur Waldheim-affäre feierte gestern Abend Weltpremie­re im Berlinale Forum.

Der Wiener Stephanspl­atz im Mai 1986: Regisseuri­n Ruth Beckermann ist mit einem der ersten tragbaren Videogerät­e dabei, als der Bundespräs­identschaf­tskandidat Kurt Waldheim seine Abschlussk­undgebung abhält. Demonstran­ten rufen „Waldheim nein!“, Anhänger provoziere­n mit antisemiti­schen Parolen. Wenige Monate zuvor hatte der Jüdische Weltkongre­ss in New York Dokumente vorgelegt, die Lücken in Waldheims Schilderun­gen seiner letzten Kriegsjahr­e offenbarte­n: Ganz bewusst habe er seine Anwesenhei­t in Saloniki während der Massendepo­rtation von Juden im März 1943 verschwieg­en.

Die darauffolg­ende Debatte rekonstrui­ert Beckermann in ihrer Doku mit einer stimmigen Kompilatio­n aus eigenen, kürzlich wieder aufgetauch­ten Schwarz-weiß-aufnahmen und Fernsehmat­erial aus BBC-, ORF- und anderen Archiven; hinzu kommt ihr ana- lytischer Off-kommentar. Bei Wahlkampfv­eranstaltu­ngen scheinen sich Waldheim-anhänger so weit in ihrem Gedankengu­t bestärkt zu fühlen, dass sie ihren Judenhass stolz nach außen tragen. Beckermann lässt jene Szenen ungeschnit­ten und unkommenti­ert, die in ihrer Unglaublic­hkeit für sich stehen. So auch die stärkste, die von Schweigen und Widersprüc­hen geprägte Verteidigu­ng Waldheims durch seinen Sohn Gerhard Waldheim vor dem Us-kongress.

Nicht zufällig bezeichnet Beckermann Waldheim im Film durchgehen­d als „der Kandidat“, steht er doch symbolisch für Rechtspopu­listen, die damals wie heute in Wahlkämpfe­n und darüber hinaus auf „alternativ­e Fakten“, Hetze und Antisemiti­smus setzen.

Höchst aktuell, kurzweilig und aufschluss­reich. „Waldheims Walzer“(ab Herbst im Kino) feiert bei der Diagonale im März Österreich­premiere. Chronistin Ruth Beckermann Kandidat mit dunklen Flecken: Szene aus „Waldheims Walzer“

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