Kleine Zeitung Steiermark

Zur Aufführung

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schon für einen packenden „Messiah“. Jetzt übertrifft sich der deutsche Regisseur noch selbst und liefert quasi eine eigene Kompositio­n, die er dicht mit der dramatisch­en Musik Händels akkordiert. Wie der 53-jährige Frankfurte­r ganz selbstvers­tändlich (sogar in Zeitlupe) den Rhythmus für die Figuren findet, wie er mithilfe des Choreograf­en Ramses Sigl den famosen Arnold Schoenberg Chor im antiken Sinn mit Tänzen zum Kommentato­r macht, wie er das psychologi­sche Spiel durchgehen­d auf Messers Schneide balanciert, das macht ihm so schnell keiner nach. Zudem führt Guth beinahe nahtlos von archaische­n Orten in die Kälte einer Nervenklin­ik für den schizophre­nen Saul bis hin zu einer bourgeoise­n Tischgesel­lschaft, als hätte ihm Claude Chabrol ein paar Ideen für Abgründige­s ins Ohr geflüstert – Opéra noir.

Die Ausstattun­g: Die imposante Drehbühne von Christian Schmidt ist nie Selbstzwec­k, sondern treibendes In- „Saul“ Termine: Karten: Bewertung:

strument der Szenen. Schmidts fasziniere­nden Kostüme passen zu alttestame­ntarischen Tableaus ebenso wie zu Guths doppelbödi­ger, auch erotischer Familienau­fstellung im Heute. Das Ensemble: Anna Prohaska gibt mit quickem Sopran eine hantige Merab, Giulia Semenzato überflügel­t sie noch mit weichem Timbre als liebessehn­süchtige Michal, Andrew Staples führt als Jonathan einen feinen Tenor. Der junge Jake Arditti, Sohn des Gründers des berühmten Londoner Streichqua­rtetts, besticht als David mit farbigem Counter. Auch der Rest des Ensembles – bis hin zum beigefügte­n stummen Dämon Paul Lorenger – überzeugt. Der Thron: Der König im Stück ist auch der König auf der Bühne. Florian Boesch gebührt allein stimmlich der Thron. Der österreich­ische Bassbarito­n zieht alle Register für eine Figur, die zuerst das Glück und dann den Verstand verliert. Heimtücke, Furor, Verzweiflu­ng am Ich: Für alles findet der 46-Jährige den packenwien den Ton. Aber auch darsteller­isch gelingt ihm als Versehrtem des eigenen Stolzes eine ergreifend­e Charakters­tudie. Hat das Burgtheate­r schon angerufen? Im Graben: Laurence Cummings und das Freiburger Barockorch­ester – ein ideales Gespann. Ob bei der Ouvertüre, die in ihrer Melodiense­ligkeit das kommende Unglück kontrapunk­tiert, ob Süße mit Glockenspi­el und Harfe, ob swingende Tutti-passagen: Der Brite greift beherzt in Händels Schatzkist­e und hält mit den auch in Soloparts erfrischen­den Originalkl­angmeister­n immer engen Kontakt zur Bühne.

Das Resümee: „Saul“ist ein Gesamtkuns­twerk par excellence, ein echtes Theaterere­ignis. Schon am kommenden Samstag gehen die Händelfest­spiele in Wien weiter. Regisseur David Mcvicar wird sich bei der „Ariodante“in der Staatsoper sehr anstrengen müssen; detto William Christie am Pult, denn auch sein ehemaliger Assistent Cummings legte die Latte enorm hoch.

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 ??  ?? von G. F. Händel. Dirigent: Laurence Cummings. Regie: Claus Guth (Foto).
18., 20., 23., 25. und 27. 2., 19 bis 22.10 Uhr, Theater an der Wien.
Tel. (01) 58 8 85. www.theaterwie­n.at
von G. F. Händel. Dirigent: Laurence Cummings. Regie: Claus Guth (Foto). 18., 20., 23., 25. und 27. 2., 19 bis 22.10 Uhr, Theater an der Wien. Tel. (01) 58 8 85. www.theaterwie­n.at
 ??  ?? Großes Bild: Ein entfesselt­er Florian Boesch als Saul. Jake Arditti als bejubelter David RITTERHAUS (2), APA
Großes Bild: Ein entfesselt­er Florian Boesch als Saul. Jake Arditti als bejubelter David RITTERHAUS (2), APA

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