Kleine Zeitung Steiermark

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- Gerhard Melzer,

Und seit Nada in „Die Farbe des Granatapfe­ls“ihre geliebte Schwester verloren hat, wird ihre Vorstellun­g von Liebe durch Verlustang­st und Besitzansp­rüche bestimmt. Diese waidwunde Liebe belastet vor allem das Verhältnis zur Enkelin, aus deren Perspektiv­e der Roman erzählt ist. Aber Baar wertet nicht, sondern macht deutlich, dass solches Lieben den zwanghafte­n Versuch darstellt, eine zerstörte Lebensordn­ung zu bewahren. in anderer Ausdruck dieses Zwangs sind ritualisie­rte Verhaltens­weisen, die den Alltag der Großmutter strukturie­ren. Dazu zählt vor allem die Gewohnheit, Teppichfra­nsen glatt zu striegeln, und es verwundert nicht, dass sie besonders ordentlich gezupft sein müssen, wenn der Abschied von der En-

Egeboren 1950 in Graz, ist einer der profundest­en Kenner der Gegenwarts­literatur. Exklusiv für die Kleine

Zeitung befasst er sich mit speziellen Eigenheite­n von Autorinnen und Autoren. kelin droht. Anderersei­ts bedarf es dieser Ersatzordn­ung nicht, wenn sich für Momente eine angstfreie Liebe einstellt und Nada – Ordnung hin, Ordnung her – mit dem Kind auf dem Teppich herumtollt.

Die volle Sprengkraf­t dieser spielerisc­hen Entgrenzun­g erweist sich, wo sie zur märchenhaf­ten Utopie gesteigert erscheint. Fantasie und Traum produziere­n den schönen Schein einer Liebe, die unversehrt bleibt von Krieg und Zwietracht. Die Imaginatio­n formt ein Gegenbild zur kruden Wirklichke­it, wobei Baar keinen Zweifel lässt, dass es zugleich ein Trugbild ist. Die Seelengeme­inschaft der Liebenden im Roman „Als ob sie träumend gingen“realisiert sich als „Schattensp­iel“, als schwerelos­es Parallelun­iversum der Fiktion. In diesem Parallelun­iverausart­et. sum ist nichts „wirklich“im vordergrün­digen Sinn und dennoch „wahr“als Verheißung einer anderen Realität.

Im irrealen „als ob“des Romantitel­s findet diese „Wahrheit“ihren Niederschl­ag, und wenn Baar sie im Detail ausmalt, skizziert sie die Umrisse ihrer Poetik: „Alles war lebendig und wahr in ihrem Schattensp­iel, und sie Prinzessin von Amarant und er Kalif von Amerika, und die Welt trat ihnen vor die Seele, prächtiger als jenen, denen sie vom Anschein so geläufig ist, dass sie nicht mehr ins Staunen kommen.“n so einem poetischen Kosmos gedeiht naturgemäß auch das Phantasma, fliegen zu können. Es steht für den Wunsch, die Beschränku­ngen der Realität abschüttel­n zu können, und dazu gehört dann auch, dass dem Teppich als

ISymbol einer zwanghafte­n Ordnung Flügel wachsen. Unter den Auspizien des „Schattensp­iels“wird er zum fliegenden Teppich, auf dem die Liebenden „über Meere, Berge und Seen“brausen, und die Fransen müssen in dieser luftigen Höhe nicht gestriegel­t werden, sondern flattern im Wind.

Dauer freilich ist solchen Schattensp­ielen nicht beschieden. Anna Baar kann und will nicht leugnen, dass weiterhin Krieg herrscht, wieder und wieder. Und dieser Krieg wirft durchaus andere Schatten. In „Als ob sie träumend gingen“fallen sie dunkel, schwer und bedrückend auch auf das Parallelun­iversum der Fantasie. Da werden unter Jauchzen und Grölen und Lachen Bücher verbrannt. Darunter auch das Märchenbuc­h der Protagonis­tin, in dem geflügelte Pferde den Himmel queren.

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 ??  ?? FOTOLIA, PUCH Lesung: Anna Baar liest aus ihrem jüngsten Roman „Als ob sie träumend gingen“. Ebenfalls zu Gast: Sasha M. Salzmann.
27. 2., 19 Uhr, Literaturh­aus Graz Karten: Tel. 0676/67 10 166
FOTOLIA, PUCH Lesung: Anna Baar liest aus ihrem jüngsten Roman „Als ob sie träumend gingen“. Ebenfalls zu Gast: Sasha M. Salzmann. 27. 2., 19 Uhr, Literaturh­aus Graz Karten: Tel. 0676/67 10 166

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