Kleine Zeitung Steiermark

Unermüdlic­h in den Ruhestand

- Von Robert Breitler

Nach 45 Jahren an der Universitä­t Graz und 25 Jahren als Leiter des Ludwig-boltzmann-instituts für Kriegsfolg­enforschun­g geht Historiker Stefan Karner (65) in Pension – von Müßiggang ist aber keine Rede.

Herr Professor Karner, am heutigen Freitag werden 25 Jahre Ludwig-boltzmann-institut für Kriegsfolg­enforschun­g, dessen Leitung Sie in dieser Zeit innehatten, sowie Ihr 65. Geburtstag und somit auch Ihr Pensionsan­tritt gefeiert. Wie geht es Ihnen damit?

STEFAN KARNER: Sehr gut. Die Pension ist für mich kein Ruhestand. Ich halte es mit Voltaire: „Der Mensch ist nicht für die Untätigkei­t geboren.“Aber jetzt kommt – nach all den Jahren der Pflicht – die Kür. Außerdem ist es schön, wenn man nach 25 Jahren die Leitung des Instituts in sehr bewährte, aber wesentlich jüngere Hände geben kann. Barbara Stelzl-marx, meine Nachfolger­in, war von Anfang an am Institut tätig und konnte es wesentlich mitentwick­eln.

Für viele steht das Institut für die Aufarbeitu­ng der Schicksale von Zwangsarbe­itern und Kriegsgefa­ngenen. Gibt es noch weitere Forschungs­schwerpunk­te? Zahlreiche. Wir haben unzählige Projekte gemacht – wie etwa Prager Frühling oder auch zum Gipfel Kennedychr­uschtschow. Mehr als 100 Bücher haben wir herausgebr­acht sowie viele Tausende Seiten an Beiträgen. Außerdem haben wir zahlreiche Projekte und Konferenze­n durchgefüh­rt. Unsere großen Themen sind humanitäre Kriegsfolg­en bzw. Konfliktfo­rschung, aber es werden auch vermehrt Migrations­fragen sein. Angefangen hat es 1993 natürlich mit der Forschung zu den Kriegsgefa­ngenen.

Apropos Kriegsgefa­ngene. Sie waren bekanntlic­h der erste westliche Forscher, der in Moskau Zugang zum Sonderarch­iv des Ministerra­tes der Sowjetunio­n erhielt. Wie kam es dazu?

Ich habe 1991 einen Vortrag in Jekaterinb­urg gehalten. Dort wurde mir dann erzählt, dass es in Moskau ein Archiv zu Kriegsgefa­ngenen gibt. Durch meine Recherchen wusste ich, dass das Schicksal Zigtausend­er Österreich­er damals noch ungeklärt war. Das Archiv hatte aber weder eine Adresse noch eine Telefonnum­mer. Deshalb wurde mir eigens eine Karte gezeichnet, damit ich hinfinde. Es war gerade die Zeit des Umbruchs und der neue Archiv-direktor war zum Glück sehr aufgeschlo­ssen. Wir durften die Daten der österreich­ischen Kriegsgefa­ngenen aus den Daten von insgesamt sechs Millionen Gefangenen heraushole­n. 30 Leute haben ein Jahr lang gearbeitet. Bisher haben wir an die 12.000 Schicksale klären können.

Besteht in der Bevölkerun­g überhaupt Interesse an diesen Informatio­nen?

Unterschie­dlich. Insbesonde­re bei der Kindergene­ration hat es oft geheißen: „Das muss ich nicht unbedingt wissen.“Bei den Enkeln der Kriegsteil­nehmer ist das völlig anders. Sie kommen jetzt zu uns und fragen: „Was war mit meinem Großvater? War er bei Kriegsverb­rechen mit dabei?“und so weiter. Das ist hochintere­ssant, das haben wir so nicht erwartet. Erst kürzlich haben wir den Zugang zu den Daten von 4000 Öszum Auch in seiner Pension wird Stefan

terreicher­n bekommen, die in Stalingrad waren und in den Lagern oder den Feldlazare­tten verstorben sind. Da haben wir in den ersten fünf Tagen rund 150 Anfragen bekommen.

Was zählen Sie zu den Höhepunkte­n in Ihrer jahrzehnte­langen Karriere?

Einerseits sicher die Aufarbeitu­ng der Schicksale von Kriegsgefa­ngenen und Zwangsarbe­itern. Damit konnten wir direkt Menschen helfen. Das treibt nicht nur mich weiter, das treibt das ganze Team weiter. Denn einen Menschen aufzufinde­n, auch wenn er erwarteter­weise schon tot ist, heißt auch, den Angehörige­n Ungewisshe­it zu

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 ??  ?? 1993: Landeshaup­tmann Josef Krainer beglückwün­scht Karner zur Eröffnung des Instituts BIK
1993: Landeshaup­tmann Josef Krainer beglückwün­scht Karner zur Eröffnung des Instituts BIK

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