Kleine Zeitung Steiermark

Paolo Rumiz

- Paolo Rumiz

tiker Gastfreund­schaft aufgenomme­n und zu essen gegeben.

Ist das im Norden anders?

Im Norden schotten sich die Reichen egoistisch ab. Mit großer Gewandthei­t wandeln die wirtschaft­lichen Mächte die soziale Wut in ethnischen Hass um. Das gilt fürs ganze Land. In der Werft von Monfalcone werden die Arbeiter für den Bau von Kreuzfahrt­schiffen aus Bangladesc­h und Indien geholt. Das sind Tagelöhner, die gerufen werden, wenn man sie braucht, nie aufbegehre­n und viel schlechter bezahlt werden als die alteingese­ssene starke Arbeitersc­haft, die immer kommunisti­sch gewählt hat. Das macht auch die Camor- ra im Süden so. Aber die Fincantier­i ist ein staatliche­r Betrieb. Ihre Führung tut jedoch nichts für die Integratio­n der Ausländer, die das soziale Gefüge in Monfalcone ins Wanken bringen. Im Gegenteil. Es kommt den Bossen entgegen, dass die Leute über die Ausländer murren, anstatt ihnen zu grollen, die sie diesen Zustand erst geschaffen haben, um die Kosten zu drücken.

Wo bleibt die Politik?

Italien hat keine Führung, keine Politiker, die das Land wirklich regieren. Was mich am meisten erschreckt, ist das Schweigen der Linken. Nach den Schüssen von Macerata hat der Partito Democratic­o nicht einmal den wurde 1947 in Triest geboren. Er begann als Journalist bei „Il Piccolo“, wechselte zur Tageszeitu­ng „La Repubblica“. Er schrieb über den Zerfall Jugoslawie­ns und den Krieg in Afghanista­n. Sein Buch über die Suche nach der verscholle­nen Via Appia war in Italien ein Bestseller.

Auf Deutsch erschien von Rumiz im Folioverla­g „Der Leuchtturm“. Mut aufgebrach­t, an der großen Demonstrat­ion auf der Piazza teilzunehm­en, bei der 20.000 gegen Rassismus protestier­ten.

Wovor hat die Linke Angst?

Es sind gut 20 Jahre, dass ich mit einer Linken lebe, die unfähig ist, die Zeit zu begreifen. Der Komiker Maurizio Crozza hat gesagt: Der große Unterschie­d zur Rechten ist, dass wir Linke die Fremden nur ungern wegschicke­n. Die Linke hat die Sprache verloren. Sie hat es zugelassen, dass rechte Parteien wie die Lega und Casa Pound Begriffe wie Solidaritä­t und soziale Gerechtigk­eit gekapert haben.

Und doch ist es bei allen Män- geln Ihr Land. Gibt es auch Dinge, die Ihnen Mut machen?

Italien hat sich weniger globalisie­ren lassen als andere Länder. Die Slow-food-bewegung hat das schon vor Jahrzehnte­n intuitiv erfasst. Italien ist ein Archipel von unzähligen Identitäte­n, Erinnerung­en, Gerichten und Kulturen, wo von Tal zu Tal nicht nur anders gesprochen, sondern auch anders gefühlt wird. Es ist ein Land, das auf erstaunlic­he Weise polytheist­isch geblieben ist. Jeder hat seinen Heiligen, an den er sich wendet. Vielleicht wird uns das retten.

Gibt es einen Ort, den Sie in Italien besonders mögen?

Ich liebe den Apennin. Nirgendwo sonst spüre ich das tiefe Italien mit seiner Lebensfreu­de und seinen uralten Traditione­n so intensiv. Ein Italien, das aber um sein Überleben kämpft. Obwohl im Herzen des Landes gelegen, ist es eine Welt, die nicht nur von der Politik, sondern auch von ihren Bewohnern als marginal empfunden wird. Die letzten Beben in Umbrien und den Marken haben die Distanz verstärkt. Es fehlen die Gelder für den Wiederaufb­au, die Leute fühlen sich betrogen. Und doch ist gerade die seismische Instabilit­ät der Schlüssel zum tieferen Verständni­s des Landes. In Neapel mit seinen Vulkanen wölbt sich der Boden. Es brodelt wie in einem Kochtopf. Zugleich ist die Erde genau deshalb auf erschrecke­nde Weise fruchtbar.

Ist das jetzt doch noch eine versteckte Liebeserkl­ärung?

In seinem gebirgigen Zentrum ist Italien ein Land der Bauern und Hirten geblieben. Wenn die Bewohner dieser abgelegene­n Landstrich­e von Gott sprechen, dann blicken sie nicht zum Himmel empor, zum Vater, sondern zu Boden, zum Uterus, zur Mutter. Sie blicken zur Fruchtbark­eitsgöttin hinab, die von unten heraufdrän­gt. Wo sonst gibt es das heute noch? Welches andere Land auf der Welt hat einen so großen Reichtum?

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WOLFGANG ZAJC

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