Das Fanal von Schattendorf
Die tödlichen Schüsse von rechten Frontkämpfern auf linke Schutzbündler, der Freispruch der Täter mündete in Demonstrationen und dem Brand des Justizpalastes. Die Republik steuerte mit erhöhtem Tempo auf den Abgrund zu.
In den Jahren zwischen den Weltkriegen war das Herstellen von Hegemonie im politischen Diskurs neben den Printmedien vor allem dem Erscheinungsbild im öffentlichen Raum geschuldet. Der öffentliche Raum war allerdings schon sehr viel länger ein heftig umkämpfter Schauplatz. Es ging bei dessen Besetzung um kontroversielle Erscheinungsbilder, um Repräsentation, vor allem aber auch um das Setzen von Denkmälern und damit um das Beherrschen der kollektiven Erinnerung.
Das Erkämpfen der imperialgroßbürgerlichen Ringstraße durch die Arbeiter Wiens in den Maiaufmärschen kann exemplarisch für diese Auseinandersetzung stehen. Öffentlichen Raum gibt es aber nicht nur in den großen Städten. Jeder Markt- oder Dorfplatz kann als solcher gelten, praktisch jeder Bahnhof, jedes Kino, jede größere Gaststube. In den Jahren der Zwischenkriegszeit, als sich die Wehrverbände der Parteien formiert hatten und paramilitärisch auftraten, war mehr als einmal auch das Dorf Schauplatz des Ringens um die Hegemonie in der öffentlichen Wahrnehmung. Diese Versuche, die Straße zu beherrschen, führten mehr als einmal zu blutigen Konflikten.
Es sollte in der gesamten Ersten Republik kein Jahr ohne blutige politische Gewalt bei diesem Ringen um die Hegemonie geben. Gewalt war also Alltag, zumal die Wehrverbände nicht weniger als 180.000 Mann in ihren Formationen hatten, denen ein Bundesheer aus nur 30.000 Berufssoldaten gegenüberstand. Der Staat hatte also kein Gewaltmonopol, und der „Große Krieg“hatte die Hemmschwelle zum Einsatz von physischer Gewalt in dramatischer Weise abgesenkt. in Ereignis und ein Jahr ragen aus der Kette der blutigen Auseinandersetzungen heraus. Es sollte sich im burgenländischen Dorf Schattendorf abspielen. Das Burgenland, das eine Sonderstellung unter den Bundesländern hatte, da es erst 1921 als selbstständiges und gleichberechtigtes Bundesland in die Republik Österreich aufgenommen wurde, was aber noch keinesfalls ein Ende der Kämpfe um diesen Landstrich bedeutete, war ein besonderer Schauplatz. Hier mischten sich sprachnationale mit politischen Gegensätzen und machten die Lage besonders explosiv.
Schattendorf war eine sozialdemokratisch geführte zweisprachige Gemeinde. Am 30. Jänner 1927 hielten die rechtsgerichteten Frontkämpfer in „ihrem“Gasthaus, dem Gasthaus Tscharmann, eine Ver-
EDer Brand des Justizpalastes in Wien, am
15. Juli 1927, markiert einen Wendepunkt: Jetzt eskalieren die Konflikte
sammlung ab. Die Schutzbündler, unterstützt durch Gesinnungsgenossen, die mit der Bahn eintrafen, hielten in etwa 500 Meter Entfernung eine Gegenkundgebung ab und dominierten sehr rasch auf der einzigen zentralen Straße des Dorfes. Als sie lautstark vor dem Gasthaus Tscharmann auftauchten, fielen aus dem Gasthaus heraus Schüsse, die unter den linken Demonstranten den kroatischen Kriegsinvaliden Matthias Csmarits und das Kind Josef Grössing (aus dessen Familie der spätere Staatssekretär Josef Ostermayer stammt) tödlich verletzten. Die drei Schützen aus dem Gasthof wurden verhaftet und der Justiz übergeben.
Wer durch die Medien der Folgewochen blättert, kann ein gutes Bild über das Ringen um die Deutungshoheit der Ereignisse gewinnen. Von Mördern sprach die eine Seite, von Notwehr die andere, und diese mediale Verarbeitung sollte nicht ohne Einfluss auf den späteren Prozessverlauf bleiben.
Der Prozess gegen die drei