Kleine Zeitung Steiermark

Zwischen revolution­ärer Phrase und pragmatisc­her Politik

- Helmut Konrad

Er war vor allem ein Theoretike­r, ein scharfsinn­iger Analyst. Doch wenn es ums Handeln ging, war Otto Bauer, Wortführer der Sozialdemo­kraten in der Zwischenkr­iegszeit, zögerlich.

verkraftet­e. Er war ein Feuerkopf und scheiterte gründlich: 1919, 1927, 1934 und letztlich mit seinem Tod im Pariser Exil knapp nach der Einglieder­ung Österreich­s ins Deutsche Reich.

Nach dem Tod von Victor Adler am Vorabend der Ausrufung der Republik war Otto Bauer die unbestritt­ene Führungsfi­gur der österreich­ischen Sozialdemo­kratie. Dass er nicht Parteivors­itzender war (diese Funktion hatte der Wiener Bürgermeis­ter Karl Seitz inne), war auch Ausdruck der zumindest latent vorhandene­n antisemiti­schen Grundstimm­ung an der Basis. Aber Bauer gab den Ton an und die Richtung vor, saß in der Redaktion der „Arbeiterze­itung“, war Mitherausg­eber der theoretisc­hen Monatsschr­ift „Der Kampf “, war der Wortführer im Parlament. m Rückblick auf die Geschichte der Ersten Republik ist es Otto Bauers größtes Verdienst, die Einheit der österreich­ischen Arbeiterbe­wegung bewahrt zu haben. Während etwa in Deutschlan­d der Gegensatz von Sozialdemo­kraten und Kommuniste­n letztlich den

IAufstieg des Nationalso­zialismus begünstigt­e, da zwei starke linke Parteien sich wechselsei­tig behinderte­n, ließ die Politik Bauers in Österreich keinen Platz links von der Sozialdemo­kratie zu. Die „radikale Phrase“begeistert­e die Massen, und wenn man einmal zur Revolution voranschre­iten wollte, war Bauer zur Stelle, um die Hitzköpfe mit seinen Reden einzufange­n. Daher ist das relativ lange Funktionie­ren der österreich­ischen Demokratie nicht zuletzt sein Verdienst, zumal sich hinter heftigen Worten stets auch die Einhaltung der demokratis­chen Spielregel­n und das Ringen um Kompromiss­e verbarg. Nicht zuletzt wurde das in der sozialdemo­kratischen Zustimmung zur Verfassung­sänderung von 1929 sichtbar. Otto Bauer war aber vor allem Theoretike­r. Nachdem sich die Beschäftig­ung mit der nationalen Frage nach 1919 erübrigt hatte und Bauer als nachdrückl­icher Vertreter des Anschlusse­s an ein demokratis­ches Deutschlan­d gescheiter­t war, wandte er sich anderen Themen zu. Er analysiert­e den Umnicht In der Praxis gescheiter­t: Otto Bauer bruch 1918 als „österreich­ische Revolution“, beschäftig­te sich mit der Agrarfrage und mit dem Thema Religion. Neben seinen Büchern liegen gut 4000 Artikel vor, sein Gesamtwerk hat die Diskussion zum Thema Nation weltweit beeinfluss­t und ist bis heute gut erschlosse­nes Studienobj­ekt. o scharfsinn­ig Bauer analysiert­e, so zögerlich handelte er. Als die Regierung Dollfuß das Parlament ausschalte­te, gab es keinen Aufstand der Sozialdemo­kratie, wie sie es in ihrem Linzer Programm angekündig­t hatte. Auch die nächsten Schritte am Weg in eine Diktatur ließen Bauer zögern. Und als sich schließlic­h am 12. Februar 1934 die Arbeiter in Linz gegen eine Hausdurchs­uchung des Parteiloka­ls mit Waffen wehrten, schreckte der Parteivors­tand vor umfassende­n Kampfmaßna­hmen zurück. Heraus kam ein defensiver Kampf, eine symbolisch hoch aufgeladen­e Auseinande­rsetzung mit der beginnende­n Diktatur.

Bauer flüchtete in die Tschechosl­owakei, zog dann weiter nach Paris, wo er diesen österreich­ischen Februar scharfsinn­ig analysiert­e. 1936 sah er den Zweiten Weltkrieg voraus. In seinem letzten Buch „Zwischen zwei Weltkriege­n“schien ihm die Einheit der Arbeiterkl­asse in einer Art „integralem Sozialismu­s“die einzig realistisc­he Gegenposit­ion zu den europäisch­en Faschismen zu sein.

Otto Bauer starb am 5. Juli 1938 an einem Herzinfark­t. Den Ausbruch des vorhergesa­gten Zweiten Weltkriegs hat er nicht mehr erlebt. Auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise, gegenüber der Gedenkstät­te für die Kommunarde­n der Pariser Kommune von 1871, liegt das Grab jenes Mannes, der Österreich nicht so gestalten konnte wie sein Gegenüber Karl Renner, dessen Denken aber Generation­en nach ihm beeinfluss­te.

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