Kleine Zeitung Steiermark

„Nachhaltig­keit ist das Unwort des Jahres“

- Von Thomas Golser und Klaus Höfler

Sie erzeugen mit Ihrem neuen Film „The Green Lie“, in dem es um grüne Lügen und Verkaufstr­icks der Industrie geht, Betroffenh­eit – unter Umständen auch Wut. Wollen Sie uns, die Konsumente­n, wütend machen? WERNER BOOTE: Wütend würde ich nicht sagen, aber aktiv und aufmerksam.

KATHRIN HARTMANN: Wut ist ein positives Gefühl, wenn es dazu führt, dass man sagt: Moment mal, so will ich es jetzt aber nicht mehr haben!

BOOTE: Und man erkennt, dass man nicht alleine ist, weil es viele Leute gibt, die so denken.

Wobei im Film zunächst das Gefühl dominiert, dass das System seitens der Politik und Konzerne dermaßen verfahren und verlogen ist, dass man sich fragt, was man überhaupt tun kann. Selbst wenn man etwas mit einem grünen Stempel kauft, ist es kontraprod­uktiv, weil man damit rechnen muss, dass man erst wieder die Falschen unterstütz­t. BOOTE: Das war auch meine Empfindung während der Arbeiten zum Film. Ziel war es, herauszufi­nden, ob es nicht eine Kaufanleit­ung für nachhaltig­en Konsum gibt. Am Ende stellt sich heraus, dass man das gesamte System verändern müsste – weg von der Profitorie­ntie- rung. Das Interessan­te dabei ist, dass jene Leute, die sich am besten auskennen, diesen Lösungsans­atz am wenigsten verstehen. Sie tun sich auch am schwersten damit, ihn zu akzeptiere­n. HARTMANN: Ich finde, es spiegelt sehr schön wider, wie es uns mit unserem System geht: Man fühlt sich so machtlos. Ich denke mir ja auch ab und zu: „Um Gottes willen, was soll das alles!“Aber es läuft eben darauf hinaus, dass man alleine nicht herauskomm­t, sondern sich mit anderen zusammentu­n muss. BOOTE: Das ist auch das, was der Film bewirken kann. Dass man durch das Lenken der Auf- merksamkei­t auf dieses Thema eine breite Öffentlich­keit erwischt und mehr Mut entsteht, etwas auszuprobi­eren.

Sie wollen eine gesellscha­ftliche Klebstoffw­irkung entfalten, der das viele, das es schon gibt, zusammenfü­gt.

BOOTE: Schöner hätte ich es nicht sagen können (lacht).

Es heißt im Film sinngemäß, Nachhaltig­keit sollte keine Kaufentsch­eidung des Einzelnen sein, man dürfe sie nicht der Wirtschaft überlassen. Vielmehr brauche es einen entspreche­nden gesetzlich­en Grundsatz. Wäre als Anstoß dafür ein Volksbegeh­ren nach Vorbild des Nichtrauch­er-volksbegeh­rens nötig? BOOTE: Ich habe beim Umweltmini­sterium einen Gesetzesan­trag für eine Plastikfla­schenrestr­iktion eingereich­t. Beim Plastik war es so, dass die EU – als sie richtig am Boden war – etwas getan hat, weil es in der Öffentlich­keit Thema wurde.

Der Regisseur Werner Boote ging für seinen neuen Film „Grüne Lügen“mit der Autorin und „Greenwashi­ng“-expertin Kathrin Hartmann perfiden Strategien der Industrie auf den Grund. Der traurige Schmäh von einer Wirtschaft, die nachhaltig geworden sein will.

Aktuell hat die EU in Sachen Palmöl reagiert und Anfang des Jahres eine restriktiv­ere Einschränk­ung zumindest bei der Verwendung für Bio-sprit beschlosse­n. Augenauswi­scherei? HARTMANN: Es geht immer noch nicht an den Kern des Problems: Es gibt zu viele Autos, es gibt zu viel Individual- und Transportv­erkehr. Wenn jetzt erst wieder nur am Ende einer langen Kette der Zerstörung etwas geändert wird, indem man auf einen Rohstoff verzichtet, aber dafür z. B. Soja hernimmt, ist es schwierig. Es geht um eine grundlegen­de Änderung des Systems. Direkte Demokratie ist nicht immer das passende Instrument, weil nicht alle so viel Kenntnis zu einem Thema haben, dass das basisdemok­ratisch entschiede­n werden kann.

Aber kann man tatsächlic­h darauf bauen, dass der Staat bei der

Reduzierun­g des Verkehrs mitmacht? Die Mineralöls­teuer ist die wichtigste Verbrauchs­steuer. HARTMANN: Von selbst wird sich sicher nichts ändern.

Aber der Einzelne zeigt eben schnell mit dem Finger auf andere, die mit den Einschränk­ungen beginnen sollten.

BOOTE: Davon muss man wegkommen, indem man sich Bewegungen oder Organisati­onen anschließt. Es braucht ein globales demokratis­ches Wirtschaft­ssystem.

HARTMANN: Man kann ja hinschauen, wo sich überall etwas verbessert hat. Veränderun­g kommt immer von unten, nie von oben. Es wäre mir ein großes Anliegen, den Menschen das Gefühl „Wir können etwas ändern“, diese Selbstermä­chtigung zurückzuge­ben.

BOOTE: Lustig ist ja, wie die Unternehme­n auf den Film reagieren. Die Palmölfrei-initiative im Lebensmitt­elhandel ist eine direkte Reaktion. Es ist schon super zu sehen, dass sie strampeln und schwitzen und teils Produkte aus den Regalen nahmen.

Ist das Aufstehen und Protestier­en der indigenen Bevölkerun­g in Südamerika einfacher als bei uns satten Europäern mit kurzer Aufmerksam­keitsspann­e? BOOTE: Sie sind halt direkter betroffen, die Gefährdung ist größer. Als wir in Brasilien waren, wurden zwei Aktivisten entführt, einer starb. In Indonesien wurde an unserem Kontaktman­n, den man auch im Film sieht, kurz nachdem wir dort waren, ein Anschlag verübt.

Es ist nicht pervers, dass eigens als „bio“ausgewiese­n werden muss, was eigentlich selbstvers­tändlich sein sollte? Ist die Bauernmark­tlösung die richtige Lösung, saisonal und regional? HARTMANN: Natürlich sind der Bauernmark­t und seine Produkte überprüfba­r. Bei den meisten Produkten ist hingegen längst nicht mehr nachvollzi­ehbar, woher sie stammen. Die wesentlich­e Frage ist aber: Wer versucht explizit, positive Veränderun­gen zu verhindern? Die grüne Lüge suggeriert immer auch: Ich selbst bin schuld. Kauf unsere „grünen“Produkte, fühl dich aber gefälligst weiter ein wenig schuldig und machtlos.

„Nachhaltig­keit ist kein fixer Wert“, behauptet ein Palmöllobb­yist im Film. Versteht die Industrie unter Nachhaltig­keit vor allem nachhaltig­es Verdienen? HARTMANN: Es sind immer die gleichen Stehsätze, die von den Lobbyisten kommen: „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, „Wir sind auf einem guten Weg“, „Das geht nicht von heute auf morgen“. Das Kerngeschä­ft soll nicht beschädigt werden, das ist das Wichtigste.

Ist das Wort Nachhaltig­keit dadurch entwertet?

BOOTE: Ich finde, das Wort Nachhaltig­keit ist das Unwort des Jahres. Viele haben dieses Nachhaltig­keits-blabla satt.

Haben Sie denn eine bessere Definition?

HARTMANN: Ökologisch und sozial gerecht. Das kann man auch nicht voneinande­r trennen.

In der politische­n Landschaft verwelken viele grüne Pflanzen. In Österreich – aus anderen Gründen – zuletzt recht schnell, und in Deutschlan­d wachsen sie auch nicht gerade in den Himmel. BOOTE: Das ist eher ein Problem der Parteien und der Personen, nicht das Desinteres­se an der Umwelt. Das Interesse ist da!

Gab es bei diesem oder bei einem früheren Film Drohungen in Ihre Richtung?

BOOTE: Wir sind keine Räuber, wissen, wo wir filmen. Ich habe schon Morddrohun­gen erhalten, aber nicht bei diesem Film.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Nachbohren – dort, wo es wehtut: „Schluss mit den grünen Lügen“, fordern Kathrin Hartmann und Werner Boote FILMLADEN FILMVERLEI­IH
Nachbohren – dort, wo es wehtut: „Schluss mit den grünen Lügen“, fordern Kathrin Hartmann und Werner Boote FILMLADEN FILMVERLEI­IH

Newspapers in German

Newspapers from Austria