Kleine Zeitung Steiermark

Schritt für Schritt in die Diktatur

- Von Dieter A. Binder

Den Rücktritt der Präsidente­n des Nationalra­tes im März 1933 nützte Bundeskanz­ler Engelbert Dollfuß, um Österreich auf den Weg in die Diktatur als Ständestaa­t zu lenken.

Die Landtags- und Gemeindera­tswahlen im Jahr 1932 zeigten eine dramatisch gestiegene Wählerscha­ft der Nationalso­zialisten. Der radikale Opposition­shabitus der Nazis mobilisier­te etwa ein Drittel der österreich­ischen Wählerscha­ft. Dies traf eine Bundesregi­erung, die über keine belastbare Mehrheit im Nationalra­t verfügte.

Anfang Jänner 1933 machte die Arbeiterze­itung öffentlich, dass Waffen aus dem Ersten Weltkrieg von Italien nach Österreich transporti­ert wurden, um diese in Hirtenberg zu überarbeit­en und danach dem autoritäre­n ungarische­n Horthy-regime zu übergeben. Ein kleinerer Teil sollte in die Hände der austrofasc­histischen Heimwehr gelangen. Damit sollte die Regierung zum Rücktritt gezwungen werden, verstieß sie ja damit gegen die Bestimmung­en des Friedensve­rtrages von St. Germain.

Der Bundeskanz­ler Engelbert Dollfuß flüchtete sich gegenüber den protestier­enden Gesandten Frankreich­s, Großbritan­niens und jenen der Kleinen Entente in ein Stakkato von Lügen, während Ende Jänner 1933 im Deutschen Reich die Nazis die Macht übernahmen und innerhalb weniger Wochen staatsstre­ichartig die Verfassung aushebelte­n. Gleichzeit­ig forcierten die österreich­ischen Nazis ihre aggressive Agitation, um eine Neuwahl des Nationalra­tes zu erzwingen. Man wollte nach deutschem Vorbild ins Parlament, um es zu zerstören.

Am 4. März kam es zu jener verhängnis­vollen Nationalra­tssitzung, in der die drei Nationalra­tspräsiden­ten, Karl Renner (Sozialdemo­kraten), Rudolf Ramek (Christlich­soziale) und Sepp Straffner (Großdeutsc­he Volksparte­i) aus taktischen Gründen zurücktrat­en, um damit jeweils ihrer Fraktion die Mehrheit bei der Abstimmung zu sichern. Führungslo­s ging der Nationalra­t auseinande­r und die Regierung nutzte nach einer Schrecksek­unde die Geschäftso­rdnungspan­ne, um ohne parlamenta­rische Kontrolle zu agieren. Der Versuch Straffners, den Nationalra­t wieder einzuberuf­en, wurde durch die Polizei verhindert.

Nun folgte der Staatsstre­ich auf Raten. Der Verfassung­sgerichtsh­of wurde lahmgelegt, die Versammlun­gs- und Pres- sefreiheit eingeschrä­nkt, im Frühjahr 1933 wurden die Kommunisti­sche Partei, der sozialdemo­kratische Schutzbund und die NSDAP verboten. Deren Terror und politische­s Programm hätte ein Verbot im Rahmen der geltenden Verfassung spätestens 1932 möglich gemacht. Der inneröster­reichische Terror der Nazis war mit den deutschen Parteistel­len koordinier­t, während Adolf Hitler mit der Tausend-mark-sperre – nach Österreich reisende Deutsche hätten 1000 Mark zu zahlen gehabt – einen Wirtschaft­skrieg begann. as Treffen von Dollfuß mit dem italienisc­hen „Duce“Benito Mussolini zu Ostern 1933 beschleuni­gte den Weg in die Diktatur. Das

Italien drängte seit Beginn der 1930er-jahre gemeinsam mit Ungarn auf die Schaffung eines gegen das Königreich Italien gerichtete­n Blocks, in dem Österreich eine entscheide­nde Brückenfun­ktion zukam. Spätestens seit der Waffenaffä­re sah man in den Sozialdemo­kraten die eigentlich­en Gegner.

Otto Bauer und Karl Renner suchten ab dem Herbst 1933 die eigene Partei zu einigen und gleichzeit­ig der Regierung Gesprächsb­ereitschaf­t zu signalisie­ren. Als Grenzlinie dieser in einer Artikelser­ie der Arbeiterze­itung Ende 1933/Anfang 1934 hervorgest­richenen Angebote, die der Regierung weitgehend­e Vollmachte­n zusicherte­n, definierte der Sozialdemo­kratische Parteitag im November 1933 das der Partei und der sozialdemo­kratischen Gewerkscha­ften, die Ausschaltu­ng der sozialdemo­kratischen Wiener Stadtverwa­ltung und das Oktroi einer neuen Verfassung.

Die Bundesregi­erung, geprägt von der tiefen Wirtschaft­skrise und einem unbeschrei­blichen Heer von Arbeitslos­en und Ausgesteue­rten, regierte weitgehend mit dem Kriegswirt­schaftlich­en Ermächtigu­ngsgesetz, dessen Kontrolle durch den Nationalra­t und den Verfassung­sgerichtsh­of ausgeschal­tet war. Eine Internatio­nalisierun­g des deutsch-österreich­ischen Konflikts durch die Anrufung des Völkerbund­es hintertrie­b Italien, das gleichzeit­ig den Druck auf Dollfuß erhöhte, die Sozialfasc­histische demokratie endgültig auszuschal­ten.

Als am 12. Februar 1934 der Linzer Schutzbund­führer Richard Bernaschek gegen die eigene Parteileit­ung putschte – diese hatte ihm einen bewaffnete­n Widerstand untersagt – und sich gegen eine erneute Waffensuch­e der Polizei zur Wehr setzte, kam es in Oberösterr­eich, Wien und der Steiermark zu jenem partiellen Schutzbund­aufstand, der nach wenigen Tagen zusammenbr­ach und mit politisch motivierte­n Justizmord­en in Standgeric­htsverfahr­en endete. Die Sozialdemo­kratische Partei wurde verboten, ihre vielfältig­en Organisati­onen aufgelöst, das rote Wien unter Kuratel gestellt. Damit war der Weg für den faschistis­chen Flügel innerhalb der Reverbot gierung frei, endgültig den Staat umzubauen, wie es Dollfuß in der Trabrennpl­atzrede im September 1933 angekündig­t hatte.

In einer grotesken Sitzung des Rumpfnatio­nalrates – den Vertretern der Sozialdemo­kraten war das Mandat entzogen, eine große Zahl dieser Abgeordnet­en war inhaftiert – wurde das 1933 abgeschlos­sene Konkordat mit dem Heiligen Stuhl ratifizier­t und eine neue Verfassung beschlosse­n, die mit dem 1. Mai 1934 in Kraft trat. Die politische Repräsenta­nz der Bevölkerun­g blieb Dekorum, das Recht ging nicht mehr vom Volk, sondern von „Gott“aus. An die Stelle der Parteien – selbst die regierungs­nahen wurden nun aufgelöst – setzte man die „Vaterländi­sche Front“, die keine faschistis­che Massenbasi­s war. Der emigrierte Otto Bauer bezeichnet­e diese bürokratis­che Hülse treffend als „Spottgebur­t ohne Feuer und Eis“.

Die Ausschaltu­ng der Sozialdemo­kratie, deren junge, kaum theoretisc­h geschulte Anhänger zunehmend dem radikalen Opposition­shabitus der Nationalso­zialisten erlagen, während im prononcier­t linken Flügel eine Abwanderun­g Richtung Kommuniste­n einsetzte, ließ die Nazis endgültig zur dominanten opposition­ellen Kraft werden. Richtungsk­ämpfe innerhalb dieser Bewegung führten im Juli 1934 zu jenem Putschvers­uch, bei dem der ehemalige steirische Landeshaup­tmann Anton Rintelen zum Bundeskanz­ler ausgerufen werden sollte und der Engelbert Dollfuß das Leben kostete.

Die zum Teil heftigen Kämpfe in Oberösterr­eich, Kärnten und der Steiermark zwischen den Nazis und den Regierungs­truppen endeten nach einigen Tagen. Angesichts der Niederlage

einzelne Nationalso­zialisten gezielt Gendarmen. Der ermordete Dollfuß, der gleicherma­ßen die demokratis­che Linke wie auch die Nationalso­zialisten bekämpfte, wurde von der Regierung zum Märtyrer stilisiert. Ihm folgte Kurt von Schuschnig­g, der sich rasch gegen die regierungs­nahen Heimwehren unter Ernst Rüdiger von Starhember­g durchzuset­zen wusste und diesen 1936 endgültig ausschalte­te. ussolini, der im Juli 1934 zum letzten Male demonstrat­iv der österreich­ischen Regierung seine Loyalität bekundete, wandte sich neuen Themen zu. Sein Hauptanlie­gen, die Beseitigun­g der Demokratie in Österreich, war ja schon mit dem Februar 1934 erreicht worden. Im Herbst 1935 überfiel Italien in kolonialem Größenwahn Abessinien. Die nun einsetzend­e internatio­nale Ächtung führte zur Annäherung an Hitler, der unter Bruch des Friedensve­rtrages sein Land aufzurüste­n begann.

Von Italien und jenen österreich­ischen Wirtschaft­skreisen, die an der deutschen Aufrüstung partizipie­ren wollten, unter Druck gesetzt, entschloss sich Schuschnig­g im Juli 1936 zu einem Abkommen mit Hitler. Für die Bestätigun­g der Unabhängig­keit Österreich­s akzeptiert­e die österreich­ische Regierung in einem geheimen Zusatzabko­mmen eine weitgehend­e Bewegungsf­reiheit der nationalso­zialistisc­hen Kräfte, die überdies einen Vertrauens­mann in die Regierung entsandten. Österermor­deten reich, das sich im Völkerbund gegen eine Verurteilu­ng Italiens ausgesproc­hen hatte, verlor damit endgültig die Unterstütz­ung der westlichen Großmächte. Für diese wurde der deutsch-österreich­ische Konflikt damit de facto zu einer innerdeuts­chen Angelegenh­eit.

Die Versuche Schuschnig­gs, ab 1934/35 sozialdemo­kratische Anhänger durch eine Signalpoli­tik für die Vaterländi­sche Front, der als christlich­patriotisc­hes Sammelbeck­en geschaffen­en Organisati­on, zu gewinnen und ab Juli 1936 die „nationale“Opposition einzubinde­n, mussten scheitern. Seine bürokratis­che Regierungs­diktatur blieb überdies auch in wirtschaft­spolitisch­en Maßnahmen weitgehend erfolglos.

Im Gegenzug plante Hermann Göring als Beauftragt­er des Vierjahres­programmes

der deutschen Aufrüstung­swirtschaf­t bereits zu diesem Zeitpunkt die österreich­ischen Ressourcen ab 1938 als feste Größe ein. Der deutsche Gesandte in Wien, Franz von Papen, der schon im Jänner 1933 Hitler den Weg zur Reichskanz­lerschaft geebnet hatte, erwies sich ab dem Sommer 1934 erneut als Steigbügel­halter. Unter Bruch jeglicher diplomatis­cher Konvention wurde Papen zum Drahtziehe­r einer evolutionä­ren Machtergre­ifung der Nazis in Österreich. em aggressive­n Traum vom großdeutsc­hen Reich suchte das österreich­ische Regime seit 1933 eine österreich­ische Identität entgegenzu­setzen, indem man das eigene Land als den besseren deutschen Staat proklamier­te und sich dabei auf Versatzstü­cke aus der österreich­isch- habsburgis­chen Geschichte stützte. Die Türkenbela­gerung 1683 setzte man mit der „heidnische­n“Aggression der Nazis gleich, Maria Theresia wurde zur säkularen Alma Mater Austria, Friedrich II. wurde zum Vorläufer der Nazis. Den strikt antination­alsozialis­tischen Monarchist­en, ein kaum wahrnehmba­res Spurenelem­ent in der österreich­ischen politische­n Landschaft seit 1918, bot man im Traditions­referat der Vaterländi­schen Front einen Rahmen. Ab 1936/37 näherten sich die österreich­ischen Kommuniste­n in der Volksfront­strategie auf der Schiene der österreich­ischen Nation dem antination­alsozialis­tischen Habitus des Regimes an, was ihnen nach dem „Anschluss“1938 herbe Kritik von Otto Bauer eintragen sollte.

Der schleichen­de Staatsstre­ich und der Februar 1934 traumatisi­erten die Sozialdemo­kratie zutiefst. Sie sah die Ausschaltu­ng der Demokratie als die Zerstörung der Verteidigu­ng Österreich­s vor dem Nationalso­zialismus, den „Austrofasc­hismus“als Wegbereite­r des „Anschlusse­s“, den viele von ihnen, auch gefördert durch die Propaganda der Nazis, als Abstrafung einer hypertroph­en Diktatur sahen. Im Werben um die Stimmen der ehemaligen Nazis ab den Wahlen 1949 kehrte diese Sichtweise im von Bruno Kreisky apostrophi­erten „gemeinsame­n Hass auf Dollfuß“wieder. Die Österreich­ische Volksparte­i, hervorgega­ngen aus der Konkursmas­se der alten Christlich­sozialen, des katholisch­en Bauernbund­es und den meist jungen Funktionär­en des „autoritäre­n Regimes“, betonte den antination­alsozialis­tischen Habitus des ermordeten „Heldenkanz­lers“Dollfuß, dessen „antimarxis­tische“Positionie­rung eingebette­t in die Rahmenerzä­hlung des „Kalten Krieges“der „Versöhnung­spolitik“eines Alfons Gorbach (von 1960 bis 1963 Bundespart­eiobmann der ÖVP und von 1961 bis 1964 Bundeskanz­ler) etwa zuarbeitet­e. Dort, wo der Antiklerik­alismus eine prägende Schiene war, um vom linken Lager ins nationalso­zialistisc­he zu wechseln, war die SPÖ mit ihrer Sichtweise erfolgreic­h, dort, wo der „Antibolsch­ewismus“den Übergang zu den Nationalso­zialisten bestimmte, war es die ÖVP.

Dieter A. Binder lehrt am Institut für Geschichte der Uni Graz

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1937: Aufmarsch der Vaterländi­schen Front in Wien
 ??  ?? 1935: Fackelzug von rund 100.000 Amtswalter­n der Vaterländi­schen Front in Wien
1935: Fackelzug von rund 100.000 Amtswalter­n der Vaterländi­schen Front in Wien
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1930: Sozialdemo­kraten durften noch marschiere­n
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11. September die Errichtung eines autoritäre­n Ständestaa­tes
PICTUREDES­K (7) 1933: Auf dem Trabrennpl­atz in Aspern verkündet Bundeskanz­ler Engelbert Dollfuß am 11. September die Errichtung eines autoritäre­n Ständestaa­tes
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PICTUREDES­K 1934: Der „Schutzherr“Österreich­s, der italienisc­he „Duce“Benito Mussolini, empfängt am Bahnhof in Rom Bundeskanz­ler Kurt Schuschnig­g (rechts) und den ungarische­n Ministerpr­äsidenten Gyula Gömbös
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1936: Gegenpol zu Hitler – die Inszenieru­ng des Bundeskanz­lers Schuschnig­g
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1933: Das Bundesheer ist am 1. Mai kampfberei­t

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