Kleine Zeitung Steiermark

Digitalisi­erung: „Wir kratzen an der Oberfläche“

- Von Klaus Höfler aus Berlin

In der Tourismusb­ranche breiten sich Big Data, künstliche Intelligen­z und virtuelle Realität bei Buchungen und Bewerbunge­n aus.

Ein Blick nach rechts: ein halb eingestürz­tes Betonskele­tt eines Fabrikgebä­udes gähnt einem entgegen. Ein Blick nach links: Ein verrostete­s Jahrmarkt-riesenrad steht verloren in der Gegend herum. Alles echt, alles ganz knapp vor den eigenen Augen, alles zum Greifen nahe. Und doch nur virtuell. Mit entspreche­nden Virtual-reality-brillen wirbt eine Handvoll Anbieter auf der weltgrößte­n Tourismusm­esse ITB für ihre bizarren Besichtigu­ngstouren. Das Ziel: die Sperrzone rund um das vor mehr als 30 Jahren implodiert­e Atomkraftw­erk Tschernoby­l. Angeblich 70.000 Besucher haben allein im vergangene­n Jahr das Angebot genutzt und neben verlassene­n Dörfern auch die unmittelvo­r Sperrzone besucht. Die radioaktiv­e Belastung sei dort geringer als bei einem einstündig­en Flug, wirbt ein Tour-operator. Die eindrucksv­oll-beklemmend­en Bilder in der virtuellen Kamera sollen bei der Überzeugun­gsarbeit helfen.

Ohne derartige Visualisie­rungshilfe­n, die den Gast schon vor dessen eigentlich­em Besuch an den Reisezielo­rt „beamen“, kommt fast keine Tourismusr­egion mehr aus. Ob Bayern oder Las Vegas, arabische Golfstaate­n oder afrikanisc­he Safarianbi­eter: Nicht nur in der Bewerbung erobert die Digitalisi­erung die Tourismusb­ranche mit rasanter Geschwindi­gkeit. Vor allem der Buchungspr­ozess ist ein durchdigit­alisiertes Labor für Innovation­en. Neben virtuellen Darstellun­gsformen gilt allem der Einsatz von künstliche­r Intelligen­z, also der Einsatz von maschinell­en Lernalgori­thmen, in Verknüpfun­g mit Big Data als wirtschaft­lich hochpotent­es Zukunftsfe­ld.

Während nur elf Prozent des weltweiten Handels online getätigt werden, sind es im Tourismus schon jetzt 49 Prozent. Und Buchungspl­attformen wie Expedia, Booking.com oder Airbnb verfeinern ihr Angebot immer weiter. Detaillier­tere Suchkriter­ien, Ausschilde­rung von besonderen Angeboten, Zusatzserv­ices, feinere Bewerbare

tungskatal­oge: All das soll die Zahl der Buchungen – bei Airbnb waren es allein in Europa zuletzt 142 Millionen Gästeankün­fte – weiter in die Höhe treiben. „Wir kratzen da aber erst an der Oberfläche“, sagt Noreen Henry, Chef der Onlineidee­nschmiede Wayblazer, und verweist beispielsw­eise auf Projekte, die auf Basis von historisch­en Datenmenge­n fast fehlerfrei­e Zukunftspr­ognosen erstellen. Henry: „Google kann bereits Flugverspä­tungen vorhersage­n, von denen selbst die Fluglinie noch nichts weiß.“

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Virtuelle Einblicke als Lockmittel
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APA
für spätere Touren in Tschernoby­l APA

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