LESEFEST BEI DEN MINORITEN GRAZ Boshaft ist sie auch noch
Mit „Liebwies“schuf Irene Diwiak (26) 2017 einen herausragenden Debütroman. Porträt einer Vielschreiberin, die in vielen Genres daheim ist.
Am Anfang stand eine Leerstelle, ein Loch, das sich alsbald mit erstaunlichsten Worten und Sätzen füllte. „Nach der Matura plagte mich große Langeweile. Aber nur kurz. Denn dann tat ich, was mich seit meiner Kindheit am meisten faszinierte – ich begann, eine Geschichte zu schreiben“, sagt Irene Diwiak.
Episode um Episode entstand. Dennoch lag der Gedanke, für all das Geschriebene auch einen Verlag zu finden, in reichlich weiter Ferne. Der weitere Verlauf ist Bestandteil der aktuellen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. All das vorhandene Material wurde bearbeitet, gekürzt, verfeinert, vertieft, geschärft, bis es sich in eine poetische, vom internationalen Feuilleton mit Lobeshymnen bedachte Wundertüte verwandelte. Der satirische und fast gnadenlos entlarvende Roman „Liebwies“reihte sich ein unter den herausragenden Debüts des Jahres 2017, nominiert unter anderem auch für den Österreichischen Buchpreis.
Heimtücke ist das Metier von Irene Diwiak (26), die in Deutschlandsberg aufwuchs, ehe sie nach Wien übersiedelte. Angesiedelt ist ihr Roman in den 1920er- und 1930er-jahren. Der titelspendende Name Liebwies steht einerseits für ein Kaff hinter den sieben Bergen, wo die Zeit offenkundig stehen geblieben ist und sämtliche politischen Umwälzungen verschlafen wurden. Emsig werden Lieder auf den Kaiser und die Monarchie gesungen. Ebenfalls Liebwies, mit dem Vornamen Gisela, heißt eine von der Natur mit beachtlich viel Schönheit ausgestattete Pseudo-sängerin, die sich trotz ihrer Fistelstimme auf dem Weg zur Opern-diva wähnt. Die Liebe ebnet viele Wege, diesfalls wird aus der herrschenden stimmlichen Not eine musikalische Tugend gemacht – die Oper „Die Gräfin der Stille“ist die Konsequenz. Tarnungen, Täuschungen und Entblößungen häufen sich.
Was folgt, ist eine sarkastische Abrechnung mit den Eitelkeiten, Intrigen und Selbstlügen des Kulturbetriebs, zeitlos gültig, aber in „Liebwies“auch versehen mit einem dumpfen Hin-
tergrundrauschen. Denn der Faschismus kündigt sich mit Hirngegröle an. Ein vielschichtiges, durchaus bösartiges Werk einer Autorin, die es virtuos beherrscht, Figuren zu Karikaturen verkommen zu lassen, ganz nach ihrer Maxime: „Wenn ich will, kann ich schon auch sehr boshaft sein.“
Als „phasenweise Vielschreiberin“charakterisiert sich Irine Diwiak selbst. „Aber wenn ich eine Idee habe, schreibe ich sehr schnell.“Womit sich auch schon das nächste Werk ankündigt. Die
Literatin, die gerne von Genre zu Genre springt, arbeitet an einem garantiert unkonventionellen Roman, angesiedelt im weiten Krimifeld.
Der Autor, der sie am meisten in ihrer Denk- und Schreibweise geprägt hat, ist Dostojewski. Die intensive Auseinandersetzung mit seiner Literatur führte auch dazu, dass Irene Diwiak sich entschloss, Slawistik zu studieren. „Und das ist so ziemlich das Ärgste, was ich jemals für einen Mann getan habe.“