Dunkle Ziffern
Die große Fluchtbewegung des Jahres 2015 ist abgeebbt, die Folgen sind aber keineswegs bewältigt. Das Messerattentat von Wien erinnert an staatliche Überforderung.
Täglich kommen neue Details über den Fall des 23-jährigen Afghanen ans Licht, der in Wien eine dreiköpfige Familie und einen Drogendealer niedergestochen hat. Jedes neue Faktum fügt neue Fragezeichen zu den vielen Ungereimtheiten dieses Falls. Über den konkreten Anlass hinaus wirft die schockierende Tat ein grelles Schlaglicht auf ein sonst eher abgedunkeltes Kapitel des österreichischen Rechtsstaats: die permanente Überforderung bei der Abwicklung Tausender und Abertausender Asylverfahren.
Zwischen fünf- und siebentausend Asylwerber tauchen jedes Jahr unter, gibt das Innenministerium an. Ein geregeltes Verfahren lässt sich so nicht führen, Bescheide bleiben unzustellbar. Die Untergetauchten ziehen entweder nach Deutschland und Schweden weiter, oder aber sie bleiben hier und versuchen, sich als Uboote durchzuschlagen. Ohne gültige Aufenthaltspapiere und stets auf der Flucht vor Behörden und Polizei driften viele ins kriminelle Milieu ab. Wie Jafar S., der schon mehrfach Bekanntschaft mit österrei- chischen Justizanstalten gemacht hat und nun um ein Haar zum Mehrfachmörder geworden wäre.
Innenminister Herbert Kickl hat kürzlich vorgeschlagen, Asylwerber nicht mehr in Privatquartieren unterzubringen, die Aufgabe ihrer Beherbergung also quasi wieder zu verstaatlichen. Er hat viel Prügel dafür bezogen, nicht nur wegen seiner Wortwahl. Zur raschen und effizienten Durchführung von Asylverfahren könnten solche Quartiere durchaus beitragen. Der Einwand, solche gemeinsame Quartiere erschwerten die Integration, ist richtig. Der Integration aber sollte eigentlich ein positives Asylverfahren vorausgehen. Menschen zu integrieren, um sie wenig später wieder aus ihrer neuen Umgebung zu reißen und abzuschieben, kann weder im Interesse des Staates noch der Betroffenen sein.
Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme ist allerdings, dass die Asylverfahren tatsächlich rasch durchgeführt werden. Derzeit dauert ein solcher Prozess im Schnitt etwas länger als ein halbes Jahr, sagte Kickl bei der Vorstellung des Jahresberichts des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Tendenz sinkend. Wenn größere Quartiere zur Beschleunigung beitragen, lässt sich schwer etwas dagegen einwenden.
Was aus den Messerattacken sonst noch folgen müsste, wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen. Anscheinend funktioniert die Zusammenarbeit unterschiedlicher Institutionen und Behörden in unserem Land nicht gut. Dass der Mann schon zweimal seiner Rückkehr nach Afghanistan zugestimmt hat, ohne dass dem auch Taten gefolgt wären, erhöht die Tragik noch.
Der Zustrom von Asylwerbern ist stark zurückgegangen. Vielleicht aber sind wir zu früh zur Tagesordnung übergegangen, haben Behörden und Ämter unterbesetzt und überfordert vor sich hinarbeiten lassen. Es wird Zeit, hinzusehen.