Wenn die Revolution ihre blutrünstigen Kinder frisst
Die Staatsoper spielt wieder „Dantons Tod“, Gottfried von Einems zugkräftigste Oper. Jubel und Zweifel.
Runde
Geburtstage können sogar noch Toten nützen. Gottfried von Einem, im heimischen Konzert- und Opernbetrieb sonst eher vergessen, wird rund um seinen 100. Geburtstag in Wien gleich an zwei Häusern lebendig. Das Theater an derwien zeigt den „Besuch der alten Dame“, das Haus am Ring „Dantons Tod“, von Einems erste Oper von 1947.
Der aus Büchners Drama destillierten Handlung zu folgen, setzt Vorkenntnisse voraus. Umso erstaunlicher ist die Entscheidung von Regisseur Josef Ernst Köpplinger, auf die klare Erzählung der tödlichen Feindschaft zwischen Danton undrobespierre im blutigen fünften Jahr der Französischen Revolution zu verzichten. Inmitten ausrangiertenmobiliars der abgehalfterten Aristokratie tummeln sich die Protagonisten und der allgegenwärtige, prachtvoll einstudierte Chor im perfo- rierten Holztunnel Rainer Sinells. Zur Abgrenzung der Szenen arrangiert der Chor nur die Trümmer neu. Die Zäsuren im 90-minütigen Werk fehlen ganz. Wer das Stück nicht kennt, plagt sich redlich, dem Handlungsfaden in dem Gewirr zu folgen.
Die Staatsoper bietet hervorragende Protagonisten auf. Wolfgang Koch, als Danton zwar etwas zu reif, meistert die wütenden Ausbrüche des jungen Revolutionärs mühelos. Stimmlich kraftvoll und markant, fehlt Thomas Ebenstein zum Robespierre doch die glatte Härte. Er spielt einen verdrucksten Zyniker, nicht den überheblichen, mordbereiten Repräsentanten des revolutionärenweltgeists.
Herzenswärme bleibt in dieser Oper Dantons Freund Camille Desmoulins und seiner Frau Lucile vorbehalten. Herbert Lippert und Olga Bezsmertna gehen mit inni- gemstimmschmelz in denwogen des Hasses und der Intrigen fast unter.
Susanna Mälkki, die finnische Debütantin am Pult, macht es den Sängern nicht leicht. Die Expertin für zeitgenössische Musik feuert mit klarer, zügiger Zeichengebung Chor und Orchester zu fast schmerzhaften Klangballungen an. Dass „Dantonstod“ein „Kammerstück“sein sollte, wie sie im Programmheft selbst erläutert, vergisst sie, fortgerissen vom packenden Drama des effektsicheren Komponisten.
Josef Ernst Köpplinger interessiert dieverführbarkeit und Gemeinheit des Volkes mehr als das Drama der Protagonisten. Der geistige Kampf zwischen dem kalten Tugendterror Robespierres und dem hitzigen Populismus Dantons kommt dabei zu kurz.
Der anhaltende Jubel für alle zeugt von der Lebenskraft von Einems Oper. Thomas Götz