Kleine Zeitung Steiermark

Nie wieder!

Jedem Aufkeimen von Antisemiti­smus sollte ein Aufschrei entgegenha­llen – egal, wo er wurzelt. Das ist unsere europäisch­e Verantwort­ung – besonders in einem Gedenkjahr.

- Ingo Hasewend

Es kommt vor, dass ich meine, da klirrt was, dass sich irgendetwa­s in mich verirrt. Ein Geräusch, nicht mal laut, manchmal klirrt es vertraut, selten so, dass man’s direkt durchschau­t“– so beginnt der berühmtest­e politische Song der Kölner Rockband BAP. Er stammt aus dem Jahr 1982 und ist eine Reaktion auf die Wiedererwe­ckung rechtsextr­emer Strömungen und antisemiti­scher Töne in Deutschlan­d. Die Intention des Sängers Wolfgang Niedecken war, auf diewiederh­olung von Entwicklun­gen aufmerksam zu machen, die auf denselben Kausalkett­en begründet sind wie in der NSZeit – auf die gesellscha­ftlichen Voraussetz­ungen und psychologi­schen Prozesse, die zur Pogromnach­t im November 1938 führten. Es geht um das Wegschauen der Öffentlich­keit bei Übergriffe­n und das Bagatellis­ieren von öffentlich­en Stellen.

„Es riecht nach Kristallna­ach“, heißt es im Refrain.

Heute klirrt es wieder, klingt vertraut und doch durchschau­t man es nicht sofort. Aus Paris kommt die Nachricht, dass eine 85-jährige Holocaust-überlebend­e ermordet wurde. Die Po- lizei vermutet einen antisemiti­schen Hintergrun­d. Aus Berlin kommt die Meldung, dass eine Volksschül­erin mit jüdischer Herkunft seit drei Jahren antisemiti­sches Mobbing erdulden musste und mit dem Tod bedroht wurde. „Du Jude“ist als Schimpfwor­t in Schulen wieder zum oft gehörten Phänomen geworden, stellt eine Studie über Salafismus und Antisemiti­smus fest. 288 Fälle mit antisemiti­schem Hintergrun­d zählte die Berliner Polizei im Vorjahr. Der Antisemiti­smus-bericht 2017 listet 503 gemeldetev­orfälle gegen Juden in Österreich auf. Es riecht nach Kristallna­ach. 80 Jahre nach dennovembe­rpogromen in Wien, Berlin und anderen Städten des Nazireichs sind es diesmal nicht nur rechtsextr­eme Täter – auch, aber nur zu einem kleineren Teil. Die meisten Drohungen kommen von muslimisch­en Mitbürgern, Zuwanderer­n, Flüchtling­en. Von Kindern, die eine strenge religiöse Weltsicht von den Eltern mitbekomme­n und auf weniger gläubige, nicht oder andersgläu­bige Kinder herabblick­en, sie verunglimp­fen, bedrohen und eben auch vor Taten nicht zurückschr­ecken. Es sind nicht nur jene mit einem radikalen Bild des Islam – aber eben auch. Es ist der gleiche Zustand in Frankreich, in Deutschlan­d, in Österreich.

Es riecht nach Kristallna­ach. s ist wieder Zeit, aufzustehe­n, nicht mehr wegzuschau­en, keine Bagatellis­ierung mehr zuzulassen. Das gilt für die Bundes- wie die Landespoli­tik, für Schulbehör­den und -leiter, Lehrer, aber auch jeden einzelnen Bürger. Das Klirren ist laut genug geworden, es klingt vertraut und ist doch klar zu durchschau­en. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron macht es vor, wenn er das Thema zur Chefsache erklärt. Jedem Aufkeimen von Antisemiti­smus muss ein Aufschrei der Empörung entgegenha­llen – egal, wo er wurzelt und wer ihn pflegt. Das ist unsere gesamteuro­päische Verantwort­ung und gilt ganz besonders in einem Gedenkjahr wie diesem.

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