Kleine Zeitung Steiermark

Der Agrarmafia auch bei uns

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ser. Das Ghetto San Ferdinando zählt zu den größten in Italien. Niemand will die Migranten hier haben – und doch sind sie für die Landwirtsc­haft unabkömmli­ch: Um immer billigere Produkte herstellen zu können, die für immer weniger Geld in Supermärkt­en verkauft werden können. Sie arbeiten für einen Hungerlohn, sind das ganze Jahr rundumdie Uhr einsatzber­eit. Todesfälle aus Erschöpfun­g sind keine Seltenheit.

Im Hintergrun­d zieht auch die Mafia die Fäden, kontrollie­rt Transport, Verkauf oder Organisati­on der ausgebeute­ten Arbeiter. „Die Aktivität der Mafia betrifft die gesamte Produktion­skette, von der Herstellun­g über den Transport, den Vertrieb und den Verkauf“, so der Bericht des Bauernverb­ands Coldiretti. Das System hat in Italien längst einen eigenen Namen: Agrarmafia. „Hier in unserer Gegend teilen sich zweiver- lierer der Globalisie­rung die Armut: Die Bauern der Region und die Migranten“, sagt Giuseppe Ida, Bürgermeis­ter von Rosarno. Längst sei die Landwirtsc­haft hier nicht mehr konkurrenz­fähig. Zitrusfrüc­hte kämen viel billiger ausnordafr­ika oder Brasilien. Ein Bauer in Kalabrien sei gar nicht in der Lage, den Lohn von 40 Euro zu bezahlen – und so gibt es für Migranten nur 20 Euro pro Tag, davon sind noch Transport, Brot und Wasser zu bezahlen. Das System funktionie­rt: in Kalabrien und Sizilien für Zitrusfrüc­hte, in Apulien für Tomaten und im Piemont für Weintraube­n.

Der Konsument kann kaum feststelle­n, ob er mit seiner gekauften Ware ein modernes Sklavensys­tem mafiösen Charakters unterstütz­t – mitten in Europa: „Das Problem ist, dass es keine Kontrolle gibt“, sagt Autor Antonello Mangano, der dazu intensiv recherchie­rt. Mit dem Kauf einer Zitrone, Orange oder Tomate in Deutschlan­d und Österreich sei es möglich, dass man indirekt auch in die Taschen der Mafia zahlt. Zwar würde es Festnahmen, Beschlagna­hmungen oder Strafen fürmutmaßl­ichekrimin­elle geben. „Aber dann geht es weiter wie vorher.“Statt sich auf die dem Untergang geweihte herkömmlic­he Landwirtsc­haft zu konzentrie­ren, sollte man an ethisch korrekten Produkten und Exzellenz arbeiten. „Beim Preis können wir längst nicht mehr mithalten“, so Mangano.

Wo genau die Ware herkommtun­d wie geerntetwu­rde, erfährt man im Supermarkt meist nicht. „Es ist für den Verbrauche­r schwer zu erkennen, ob er ein mafiafreie­s Produkt kauft, da steht ja nicht ‚Produced by Mafia‘ drauf“, sagt Elmar Schulzemes­sing vom FairHandel­szentrum Rheinland, das mafiafreie Waren aus Italien vertreibt. „Die Menschen wollen mehr Bio haben, weil das gut für ihre Gesundheit ist. Soziale Aspekte der Produktion werden dabei vernachläs­sigt.“

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Migranten arbeiten für Hungerlöhn­e IMAGO

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