Der Wortschatz im Silbensee
Vierte Auflage deswortfestivals „Literasee“in Bad Aussee. Eine poetische, pointierte Reise durch Erzählwelten. Die Natur steuert ihre eigenen Gedichte bei.
Streng
blickt er herunter, prüfend und misstrauisch vielleicht auch. Einigen Grund hat Hugo von Hofmannsthal, dessen großflächig plakatiertes Antlitz den Lesesaal dominiert, dazu ja schon. Immerhin tritt dort heute zum Finale von „Literasee“in der Bad Ausseer Wasnerin Ferdinand Schmalz auf, der keinerlei Scheu zeigte, Hofmannsthals „Jedermann“zu entstauben, zu entrümpeln und zu neuem sprachlichen Hochglanz zu bringen. Aber gestern wäre dem einstigen Ausseer Dichterfürsten, würde er noch unter uns weilen, garantiert mehrmals ein Lächeln oder sogar ein Lachen entwichen.
Lucy Fricke, die hierzulande geradezu sträflich vernachlässigte Hamburger Sprachakrobatin, bestens vertraut mit der Kunst des hohen und treffsicheren Pointenflugs, bewies mit der Lesung aus ihrem neuenroman„töchter“, dass feinsinnige Literatur keineswegs humorbefreit sein muss. Ein Roadmovie höchster Qualität, eine Irrfahrt von zwei Frauen quer durch Europa, eine Reise mitten ins Herz der virtuosen Wortkunst. Absolut filmreif; entsprechende Taten sollen bald folgen.
„Literasee“ist auch bei seiner vierten Auflage nicht nur ein fast familiäres Lesefest. Hier tankt die Sprache neue Energie, hier ergänzen sich brillante Worte und unkonventionelle Orte. Geradezu majestätisch der Auftakt: Heinrich Steinfest belegt im Kaisersaal der Landeshofkammer von Bad Aussee mit seiner „Büglerin“, dass der Sprung von der realenwelt in einen parallelen, grotesken Erzählkosmos in wenigen Sätzen gelingen kann. Dass der Weg dorthin aber gesäumt ist von Mitbürgern, die ein Bügelbrett vor dem Kopf haben, zählt zu Steinfests unverwechselbaren Markenzeichen.
Da das Streben nach Faltenfreiheit, dort Maßgeschneidertes. Arno Geiger las (zum 40. Mal übrigens) aus seinem 1944
Magischer Höhepunkt beim Festival „Literasee“: Lesung auf dem Salzsee mit Angelika Klüssendorf. Rechts: Dramatiker Ferdinand Schmalz in Bad Aussee
im Salzkammergut angesiedelten Roman „Unter der Drachenwand“. Zweifellos ist es eines der wichtigsten und berührendsten Bücher dieses Jahres; über die Liebe in Zeiten des Krieges und des Wahnsinns. Ein Sprachgemälde über eine Gesellschaft im Ausnahmezustand, das in eine der schönsten literarischen Liebeserklärungen jüngerer Zeit mündet.
„Literatur soll kein Papier erzeugen, sondernmaterie, Figuren, Menschen“, sagt Geiger. Wie wahr, wie wichtig.
Magisch-mystischer Höhepunkt: die Lesung auf dem Salzsee in den Ausseer Salzwelten. Mit Angelika Klüssendorfs Versuch, in „Jahre später“das Trauma einer langjährigen, tragisch endenden Beziehung zu überwinden. Ein Wortschatz im Silbensee. Und ein weiterer Beleg dafür, wie weit man bei „Literasee“in der Erzählwelt herumkommen kann – hoch hinaus oder tief ins Innerste. Werner Krause Literasee. Schlusstag in der Wasnerin in Bad Aussee. Lesungen: Ferdinand Schmalz, 11 Uhr; Mario Schlembach, 13 Uhr.