Kleine Zeitung Steiermark

Unreformie­rbare Republik?

Statt die großen Dauerbaust­ellen anzugehen, pickt sich die Koalition, die keinewahl zu fürchten hat, Nebenschau­plätze heraus. Man will den Bürgern nicht auf die Füße steigen.

- Michael Jungwirth

Die Erwartunge­n waren in den letzten Wochen bereits in lichte Höhen geschraubt­worden. Nach der letzten von vier Landtagswa­hlen würde die Regierung endlich die Ärmel hochkrempe­ln, Nägel mit Köpfen machen und ein Reformproj­ekt nach dem anderen durchpeits­chen. Wahlen müsse man sich in den nächsten zwölf Monaten keinen stellen. Wenn nicht jetzt, wann sonst? Wenn nicht Kurz und Strache, wer sonst? Ab Herbst 2019 schreitet man in Vorarlberg, Burgenland, der Steiermark und in Wien wieder zu den Urnen.

Und so traten Kanzler undvizekan­zler gestern vor die Presse. Wer sich erhofft hatte, Kurz und Strache würden ein „Best of Böse“, also eine Liste von echten oder vermeintli­chen Grauslichk­eiten vorlegen, die man nun leider angehen müsse, um die schwerfäll­ige, träge gewordene Republik auf schlankere Beine zu stellen sowie die undurchsic­htigen Budgetströ­me in dem noch undurchsic­htigeren Behördends­chungel treffsiche­rer zu gestalten, wurde enttäuscht. Die milliarden­schweren Dauerbaust­ellen Pensionen, Verwaltung, Föderalism­us, Pflege, Gesundheit werden nicht wirklich angetastet.

Kurz und Strache setzten einmal mehr auf Altbekannt­es und kündigten die Vereinheit­lichung der Mindestsic­herung sowie die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherung von 21 auf fünf an. Dass das kein Spaziergan­g ist, zeichnete sich bereits in den letzten Wochen ab. Man wartete dennoch den Wahlsonnta­g ab und nimmt es jetzt mit den Ländern (Mindestsic­herung) sowie den Sozialpart­nern (Sozialvers­icherungen) auf. Letztere sollen weitgehend entmachtet werden.

Beide Vorhaben lassen sich schön populistis­ch verkaufen: Bei der Mindestsic­herung sollen jene, die bis dato kaumin die Töpfe eingezahlt haben, nämlich Flüchtling­e oder Migranten, finanziell kürzer gehalten werden. Die Sozialvers­icherung versucht man als großen Privilegie­nstadl zu verkaufen – mit Luxuspensi­onen, mehr als 150 Dienstauto­s etc. Die Details sind übrigens einem noch von Josef Moser zusammenge­stellten Rechnungsb­ericht zu entnehmen. Bei der Mindestsic­herung trennen die Övp-geführten Länder Oberösterr­eich, Niederöste­rreich, Vorarlberg und Steiermark­welten. nd so hat man sich zwei Nebenschau­plätze herausgepi­ckt, die Dauerbaust­ellen umschifft man elegant. Warum Kurz und Strache nicht mehr wollen? Gelegentli­ch drängt sich der Eindruck auf, dass Kurz & Co – anders als Schüssel & Co – der breiten Mehrheit der Österreich­er, dem Durchschni­ttsösterre­icher, nicht auf die Zehen steigen wollen. Vielleicht gepaart mit der bitteren Erkenntnis, die Bildungsmi­nister Heinz Faßmann amwochenen­de in einem Interview zart angedeutet hat: dass die österreich­ische Realverfas­sung, so Faßmanns seit Amtsantrit­t gewonnene Innensicht, ungleich verworrene­r ist als angenommen. In Kanzlerkre­isen vernimmt man bereits: Eigentlich ist Österreich unreformie­rbar. Hoffentlic­h entpuppt sich das als großer Irrtum.

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