Kleine Zeitung Steiermark

Schwarze Mitläufer

Nach der SPÖ hat endlich auch die ÖVP ihre Historie nach braunen Flecken durchforst­et. Die Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit muss mehr sein als eine Spielwiese für Historiker.

- Von Michael Jungwirth

Der Zeitpunkt ist nicht ganz zufällig. Vor zehn Jahren erteilte die ÖVP einer Historiker­in denauftrag, die eigene Geschichte auf braune Flecken abzuklopfe­n. Die SPÖ hatte unter dem Eindruck der Enthüllung­en über Euthanasie­Arzt Heinrich Gross, der nach 1945 die rote Karrierele­iter hinaufgekl­ettertwar, eine Historiker­kommission eingesetzt. Diese legte 2005 einen wenig schmeichel­haften Bericht über die Verstricku­ngen der vermeintli­ch antifaschi­stischen SPÖ mit dem braunen Faschismus vor. Die ÖVP zog nach, der Tod einer Historiker­in brachte das Vorhaben zum Erliegen, nun liegt daswerk vor.

In der Övp-zentrale wirdwenig dem Zufall überlassen. Am Wochenende gedenkt Österreich der Befreiung von Mauthausen, in einer Woche jährt sich die Kapitulati­on des NaziRegime­s. Das Herumeiern der FPÖ bei der Aufarbeitu­ng der eigenen Geschichte sowie die immer wiederkehr­enden blauen Ausrutsche­r bringen den Kanzler zunehmend in Erklärungs­notstand. Da erscheint die 200 Seiten dicke Studie über die Verfehlung­en der eigenen Bewegung zur richtigen Zeit.

Was darin zutage gefördert wurde, ist durchaus beachtlich. So wurden die Biografien von 560 Övp-politikern systematis­ch durchforst­et und auf Mitgliedsc­haften in Ns-organisati­onen hin abgeklopft. Das Vorhaben gestaltete sichwegen der überrasche­nd kafkaesken NaziBürokr­atie schwierige­r als angenommen. 63 Övp-politiker wurden als Problemfäl­le herausdest­illiert, in 17 Fällen widersprac­hen sich die Karteien, ob jemand dernsdapan­gehörte oder nicht. Vier Övp-politiker waren mehr als simple Mitläufer. Unter dem Strichwar die ÖVP genauso mit alten Nazis durchsetzt wie die SPÖ, die Volksparte­i nahm sogar mehr Illegale auf als die SPÖ.

Vor einer moralische­n Bewertung schrecken die Studienaut­oren zurück. Zu wenig ist über den jeweiligen­werdegang bekannt, als dass über jemanden der Stab gebrochen werden könnte. Am besten ist noch der Fall Kurt Waldheim dokumentie­rt, der als Sinnbild für die in Österreich bis zur Perfektion betriebene Kunst des Verdrängen­s und des Verleugnen­s herhalten muss. So gesehen ist eine schonungsl­ose Auflistung wohltuend.

Was in der verdienstv­ollen Arbeit zu kurz kommt, ist der Wettlauf, den sich SPÖ undövp nach Ende des Zweiten Weltkriegs um die Gunst der alten Nazis geliefert haben. Die SPÖ hat vor Jahren interne Protokolle veröffentl­icht, die die erschrecke­nde Dreistigke­it der Sozialdemo­kraten beim Werben um alte Nazis dokumentie­rt. arum die Aufarbeitu­ng der Geschichte kein Nebenschau­platz sein darf, keine Spielwiese für Historiker? Wer an eine besserewel­t glaubt, muss mit den Abgründen der menschlich­en Existenz vertraut sein. Die Vergangenh­eit lehrt uns, dass die Bestialitä­t nicht nur in den Köpfen von Psychopate­n und Sadisten schlummert. Politisch-ideologisc­her Fanatismus führt ganze Gesellscha­ften ins Verderben.

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