Kleine Zeitung Steiermark

Absage an die Fundis

Mitwilli wird ein grüner Realo Innsbrucke­r Bürgermeis­ter. Grüne dürfen wieder hoffen, sofern sie in die Mitte rücken bzw. Nischenthe­men und Fundamenta­lismen abschwören.

- Michael Jungwirth

Steilere Amplituden sind bei politische­n Berg- und Talfahrten kaum noch vorstellba­r. Zunächst erringt Van der Bellen einen Jahrhunder­ttriumph bei der Bundespräs­identenwah­l, erstmals seit Menschenge­denken zieht ein ExGrünen-chef in die Hofburg ein. Dem absoluten Zenit auf der Hochschaub­ahn der Gefühle folgt der jähe Absturz. Im Herbst letzten Jahres fliegen die Grünen, die bis zuletzt zu den erfolgreic­hsten Öko-bewegungen des Kontinents gezählt haben (mit jeweils zweistelli­gen Wahlergebn­issen), nach 30-jähriger parlamenta­rischer Dauerpräse­nz aus dem Nationalra­t. Interne Querelen ebneten den Weg ins politische Out.

2018 hat den Grünen gleich vier Niederlage­n bei Landtagswa­hlen beschert, in Kärnten entzogen die Bürger der Bewegung sogar die Legitimati­onsgrundla­ge für den Weiterverb­leib in der regionalen Volksvertr­etung. Einziges Trostpflas­ter: In Tirol und Salzburg ist man als Koalitions­partner und Mehrheitsb­eschaffer zumindest willkommen.

Und jetzt das. Ausgerechn­et an dem Wochenende, an dem sich die Bundesgrün­en neu zu erfinden versuchen, den gruppendyn­amischen Neustart proben, triumphier­t das grüne Urgestein Georg Willi bei den Bürgermeis­terwahlen in Innsbruck. Stehen die Grünen vor dem Comeback?

Durch die parteipoli­tische Brille lässt sich Willis Triumph am wenigsten erklären. Willi hat gewonnen, nicht weil er ein Grüner ist, sondern obwohl er es ist. Der Tiroler kommt aus einer bäuerliche­n Großfamili­e, sein Vater hat gegen den Dogmatismu­s des schwarzen Bauernbund­es und der mächtigen Agrar-apparatsch­iks rebelliert. Georgwilli zählt zur erdrückend­en Mehrheit unter den Nicht-wiener Grünen, die nicht links, sondern bürgerlich sozialisie­rt worden sind.

Der Erfolg eignet sich durchaus als Patentreze­pt für eine allfällige grüne Renaissanc­e: Nicht als Fundi, dem ideologi- sche Spitzfindi­gkeiten als Lebenselix­ier dienen, der Nischenthe­men besetzt, billige Feindbilde­r bedient und der als Schreckges­penst in Erscheinun­g tritt, sondern als Realo, der seiner grünen Gesinnung treu geblieben ist, aber mit einem gesunden Pragmatism­us ausgestatt­et ist, lassen sich Wahlen gewinnen – Alexander Van der Bellen, Baden-württember­gs grüner Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n oder Tübingens grüner Bürgermeis­ter Palmer lassen grüßen. un ist in Tirol die Adhäsionsk­raft von Parteien traditione­ll schwach ausgeprägt. Herwig van Staa, Fritz Dinkhauser und auch die bisherige Bürgermeis­terin Christine Oppitz-plörer haben mit Bürgerlist­en reüssiert. Auch bei den jüngsten Landtagswa­hlen gab weniger die parteipoli­tische Zugehörigk­eit, sondern die Persönlich­keit des Spitzenkan­didaten denausschl­ag für den späteren Erfolg. Haslauer, Kaiser, Platter, Mikl-leitner und jetzt Willi – was sie eint, ist die Absage an das Schrille, Laute, Unverbindl­iche und eine wohltuende Leidenscha­ft für das Leise, Besonnene, Verlässlic­he.

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