Absage an die Fundis
Mitwilli wird ein grüner Realo Innsbrucker Bürgermeister. Grüne dürfen wieder hoffen, sofern sie in die Mitte rücken bzw. Nischenthemen und Fundamentalismen abschwören.
Steilere Amplituden sind bei politischen Berg- und Talfahrten kaum noch vorstellbar. Zunächst erringt Van der Bellen einen Jahrhunderttriumph bei der Bundespräsidentenwahl, erstmals seit Menschengedenken zieht ein ExGrünen-chef in die Hofburg ein. Dem absoluten Zenit auf der Hochschaubahn der Gefühle folgt der jähe Absturz. Im Herbst letzten Jahres fliegen die Grünen, die bis zuletzt zu den erfolgreichsten Öko-bewegungen des Kontinents gezählt haben (mit jeweils zweistelligen Wahlergebnissen), nach 30-jähriger parlamentarischer Dauerpräsenz aus dem Nationalrat. Interne Querelen ebneten den Weg ins politische Out.
2018 hat den Grünen gleich vier Niederlagen bei Landtagswahlen beschert, in Kärnten entzogen die Bürger der Bewegung sogar die Legitimationsgrundlage für den Weiterverbleib in der regionalen Volksvertretung. Einziges Trostpflaster: In Tirol und Salzburg ist man als Koalitionspartner und Mehrheitsbeschaffer zumindest willkommen.
Und jetzt das. Ausgerechnet an dem Wochenende, an dem sich die Bundesgrünen neu zu erfinden versuchen, den gruppendynamischen Neustart proben, triumphiert das grüne Urgestein Georg Willi bei den Bürgermeisterwahlen in Innsbruck. Stehen die Grünen vor dem Comeback?
Durch die parteipolitische Brille lässt sich Willis Triumph am wenigsten erklären. Willi hat gewonnen, nicht weil er ein Grüner ist, sondern obwohl er es ist. Der Tiroler kommt aus einer bäuerlichen Großfamilie, sein Vater hat gegen den Dogmatismus des schwarzen Bauernbundes und der mächtigen Agrar-apparatschiks rebelliert. Georgwilli zählt zur erdrückenden Mehrheit unter den Nicht-wiener Grünen, die nicht links, sondern bürgerlich sozialisiert worden sind.
Der Erfolg eignet sich durchaus als Patentrezept für eine allfällige grüne Renaissance: Nicht als Fundi, dem ideologi- sche Spitzfindigkeiten als Lebenselixier dienen, der Nischenthemen besetzt, billige Feindbilder bedient und der als Schreckgespenst in Erscheinung tritt, sondern als Realo, der seiner grünen Gesinnung treu geblieben ist, aber mit einem gesunden Pragmatismus ausgestattet ist, lassen sich Wahlen gewinnen – Alexander Van der Bellen, Baden-württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder Tübingens grüner Bürgermeister Palmer lassen grüßen. un ist in Tirol die Adhäsionskraft von Parteien traditionell schwach ausgeprägt. Herwig van Staa, Fritz Dinkhauser und auch die bisherige Bürgermeisterin Christine Oppitz-plörer haben mit Bürgerlisten reüssiert. Auch bei den jüngsten Landtagswahlen gab weniger die parteipolitische Zugehörigkeit, sondern die Persönlichkeit des Spitzenkandidaten denausschlag für den späteren Erfolg. Haslauer, Kaiser, Platter, Mikl-leitner und jetzt Willi – was sie eint, ist die Absage an das Schrille, Laute, Unverbindliche und eine wohltuende Leidenschaft für das Leise, Besonnene, Verlässliche.
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