Symptome der Vergreisung
Der Grazer Philosoph Peter Strasser über die seltsam heutigen Thesen des Untergangstheoretikers Oswald Spengler.
Herr
Strasser, vor 100 Jahren prophezeite Oswald Spengler uns den Untergang. Hat er sich geirrt?
PETER STRASSER: Schwierige Frage, weil gar nicht klar zu erkennen ist, ob wir noch Spenglers „Abendland“sind. Und vielleicht hat es das Abendland ohnehin immer nur als eine Art Traum gegeben, der aus der Entgegensetzung zu Luthers „Morgenland“entstanden war. Was wäre denn abendländisch im Sinne Österreichs oder Europas? Für mich ist es die offene Gesellschaft als Resultat einer jahrhundertelangen Verschmelzung von Humanismus, Christentum und Aufklärung, ein liberaler Rechtsstaat mit sozialstaatlicher Ausrichtung, in dem die Menschen keine Angst haben müssen, in einem Folterkeller zu landen, falls sie gegen das Regime aufmucken.
Zu Aufblühen und Auslöschung von Hochkulturen gibt es ein Gesetz der Serie. Aber da ist Spenglers „Abendland“ein sehr weitläufiger Begriff.
Eben. Auslöschung ist nicht die einzige universalhistorische Option. Es gibt auch gleitende Übergänge ins Neue, und insofern der Begriff „Abendland“mehr eine Vision ist als eine handfeste historische Realität, ist es gut möglich, dass derwesten, namentlich die vielgelästerte EU, gerade dabei ist, diese Vision zu vollenden! Für Spengler freilich waren die Massendemokratie und der Friede zwischen den Völkern ein Symptom der Vergreisung. Spenglers Motto: „Menschengeschichte ist Kriegsgeschichte“. So gesehen wären wir Abendländer natürlich am Ende, vorläufig jeden- falls, bis uns der nächste Weltenbrand von unserem kleinen Glück erlöst …
Spengler war faschistoid, antisemitisch, verhaltensgestört, von Größenwahn keineswegs frei. Ist er wissenschaftlich überhaupt ernst zu nehmen?
Spenglers Geschichtsauffassung ist sicher ein Mythos, eine ideologische Konstruktion. Das Abendland hat demnach eine „faustische Seele“. Es strebt also im Ideellen immerfort himmelwärts, hin zum Titanischen, zum Übermenschen; politisch umgemünzt: Es ist militant und expansiv. Die faustische Seele ist eine Raubtierseele – das alles ist zum Fürchten, ein Graus.
Fakt ist, dass der passagenweise extrem bösartige, polemische, menschenverachtende Ton sich beklemmend einer „Kampf“-schrift nähert.
Ja, denn Spengler verabscheute all jene, die man heute abschätzig als „Gutmenschen“bezeichnet. Schlossen sich Organisationen oder gar Nationen zu einer Friedensmission zusammen, dann war das für ihn gleich ein „Sommerfrischlerverein“.
Zur Gegenwart. Spenglers These, dass Menschengeschichte stets Kriegsgeschichte ist und vorrangig der Wille zur Macht und das Recht des Stärkeren vor angeblichem Stillstand bewahren, ist recht heutig.
Das stimmt. Wir Europäer müssen aufpassen, dass wir nicht in bürgerkriegsähnliche Zustände hineinschlittern. Der nationalistische Aufruf, sich wieder „unter der Fahne“zu versammeln, kehrt die dämonische und im Übrigen selbstzerstörerische Seite des Abendländischen hervor.
Sie schreiben in Ihrem aktuellen Spengler-buch über die derzeit gefragten „Topmodels der Politik“, denen Sie aber keine lange Zukunft prophezeien. Nur: Was folgt danach?
Also, wir haben jetzt, mangels eines glaubwürdigen Sozialismus, eine Mitte-rechts-koalition, mit einem jungen Führerim-glück, der seiner einst stolzen bürgerlichen Partei so ziemlich alle „Durchgriffsrechte“– was für ein Wort – abverlangte. Er regiert mit den Rechtspopulisten, die fast jede Woche einen kleinen NaziSkandal haben. Das sind, zusammen mit dem kalkulierten, hysterisch verschärften Überwachungs- undsicherheitsdenken, bedrohliche Zeichen. Ich überspitze immoment, aber es wäre die Aufgabe verantwortungsvoller, sensibler Journalisten, da nichts kleinzureden. Nur so nämlich funktioniert eine wehrhafte Demokratie.
Peter Strasser. Lesung aus seinem Buch „Spenglers Visionen – Hundert Jahre ,Untergang des Abendlandes‘“und Gespräch mit Thomas Macho. Literaturhaus Graz. Heute, 19 Uhr.