Das Ende einer Fiktion
Mit dem Umzug der Us-botschaft nach Jerusalem beweist Us-präsident Trump den Mut zurwahrheit, an dem es die Europäer im Nahen Osten seit Jahrzehnten fehlen lassen.
Als „Stadt mit den Problemen eines Kontinents“hat der Schriftsteller Arthur Koestler Jerusalem einmal bezeichnet. Das war nicht untertrieben. Die aktuelle Aufregung um die Verlegung der USBotschaft nach Jerusalem ist ein Beleg mehr dafür, wie symbolisch aufgeladen die Juden, Christen und Moslems in gleichem Maße heilige Stadt ist.
Was immer Donaldtrump mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels bezweckt, ob der Us-präsident nur ein Wahlversprechen einlöst oder einen höheren Plan zur Befriedung der Region verfolgt, lässt sich gegenwärtig nicht ausmachen. Und schon gar nicht ist mitdemspektakulären Schritt irgendetwas geklärt im Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina, der so alt ist wie der Staat Israel.
Klar erkennbar ist aber Trumps politischerwille, die diplomatische Camouflage um Jerusalem zu beenden und sich von der Fiktion zu verabschieden, der Status der Stadt sei nach wie vor nebulös. Das ist er längst nicht mehr. Und die westliche Welt weiß das auch. Nur es offiziell einzuräumen, hat bisher niemand gewagt. Dabei erklärte Israel Jerusalem schon 1950 zur Hauptstadt. Seit Jahrzehnten haben Staatsoberhaupt, Parlament, Regierung dort ihren Sitz. Sämtliche Staatsgäste pilgern nach Jerusalem. Und seitdem Israel 1967 im Sechstagekrieg die Altstadt eroberte, ist die Stadt auch de facto wiedervereint.
Trump ist der erste Us-präsident, der diese Realität praktisch anerkennt. Das hebt ihn von der heuchlerischen Nahost-politik der Europäer ab, die den Palästinensern unverdrossen suggeriert, die Stadt ließe sich eines Tages in ein internationalisiertes Sondergebiet unter Un-kontrolle verwandeln.
Dass weder Israelis noch Palästinenser mehr an eine Zweistaatenlösung glauben, ficht die EU nicht an. Stur hält sie an ihrer illusionären Symbolpolitik fest und verkennt dabei, wie sehr sie damit dazu beiträgt, bei den Arabern die Wunde der Vertreibung offenzuhalten.
Ja, die Unaufrichtigkeit beginnt bereits damit, dass man in Europa gern so tut, als habe Israel Ostjerusalem den Palästinensern weggenommen. Faktum ist, dass es 1967 von Jordanien zurückerobert wurde, das die Altstadt 1949 besetzt, daraus alle Juden vertrieben und Dutzende Synagogen zerstört hatte.
Anstatt sich nun groß moralisch darüber zu entrüsten, dass Israels Premier Netanjahu Jerusalem zum Austragungsort des Songcontests 2019 machen will, sollten die Europäer sich lieber fragen, was ihre jahrzehntelange Wirklichkeitsverweigerung der Region gebracht hat. Weder hat die terroristische Hamas in Gaza ihrem Ziel abgeschworen, Israel auszuradieren, noch wurde der jüdische Siedlungsbau im Westjordanland gestoppt. srael ist von Amerika abhängig wie nie. Entscheidend ist, was Trump nun tut. Wird der Präsident als Preis für Jerusalems Anerkennung vonnetanjahu substanzielle Zugeständnisse an die Palästinenser verlangen? Sollten sich durch seine paradoxe Intervention neue Friedenshorizonte innahost aufspannen, wäre das der bisher wohl größte Coup des Vielgescholtenen.
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