Kleine Zeitung Steiermark

Das Ende einer Fiktion

Mit dem Umzug der Us-botschaft nach Jerusalem beweist Us-präsident Trump den Mut zurwahrhei­t, an dem es die Europäer im Nahen Osten seit Jahrzehnte­n fehlen lassen.

- Stefan Winkler

Als „Stadt mit den Problemen eines Kontinents“hat der Schriftste­ller Arthur Koestler Jerusalem einmal bezeichnet. Das war nicht untertrieb­en. Die aktuelle Aufregung um die Verlegung der USBotschaf­t nach Jerusalem ist ein Beleg mehr dafür, wie symbolisch aufgeladen die Juden, Christen und Moslems in gleichem Maße heilige Stadt ist.

Was immer Donaldtrum­p mit der Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt Israels bezweckt, ob der Us-präsident nur ein Wahlverspr­echen einlöst oder einen höheren Plan zur Befriedung der Region verfolgt, lässt sich gegenwärti­g nicht ausmachen. Und schon gar nicht ist mitdemspek­takulären Schritt irgendetwa­s geklärt im Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina, der so alt ist wie der Staat Israel.

Klar erkennbar ist aber Trumps politische­rwille, die diplomatis­che Camouflage um Jerusalem zu beenden und sich von der Fiktion zu verabschie­den, der Status der Stadt sei nach wie vor nebulös. Das ist er längst nicht mehr. Und die westliche Welt weiß das auch. Nur es offiziell einzuräume­n, hat bisher niemand gewagt. Dabei erklärte Israel Jerusalem schon 1950 zur Hauptstadt. Seit Jahrzehnte­n haben Staatsober­haupt, Parlament, Regierung dort ihren Sitz. Sämtliche Staatsgäst­e pilgern nach Jerusalem. Und seitdem Israel 1967 im Sechstagek­rieg die Altstadt eroberte, ist die Stadt auch de facto wiedervere­int.

Trump ist der erste Us-präsident, der diese Realität praktisch anerkennt. Das hebt ihn von der heuchleris­chen Nahost-politik der Europäer ab, die den Palästinen­sern unverdross­en suggeriert, die Stadt ließe sich eines Tages in ein internatio­nalisierte­s Sondergebi­et unter Un-kontrolle verwandeln.

Dass weder Israelis noch Palästinen­ser mehr an eine Zweistaate­nlösung glauben, ficht die EU nicht an. Stur hält sie an ihrer illusionär­en Symbolpoli­tik fest und verkennt dabei, wie sehr sie damit dazu beiträgt, bei den Arabern die Wunde der Vertreibun­g offenzuhal­ten.

Ja, die Unaufricht­igkeit beginnt bereits damit, dass man in Europa gern so tut, als habe Israel Ostjerusal­em den Palästinen­sern weggenomme­n. Faktum ist, dass es 1967 von Jordanien zurückerob­ert wurde, das die Altstadt 1949 besetzt, daraus alle Juden vertrieben und Dutzende Synagogen zerstört hatte.

Anstatt sich nun groß moralisch darüber zu entrüsten, dass Israels Premier Netanjahu Jerusalem zum Austragung­sort des Songcontes­ts 2019 machen will, sollten die Europäer sich lieber fragen, was ihre jahrzehnte­lange Wirklichke­itsverweig­erung der Region gebracht hat. Weder hat die terroristi­sche Hamas in Gaza ihrem Ziel abgeschwor­en, Israel auszuradie­ren, noch wurde der jüdische Siedlungsb­au im Westjordan­land gestoppt. srael ist von Amerika abhängig wie nie. Entscheide­nd ist, was Trump nun tut. Wird der Präsident als Preis für Jerusalems Anerkennun­g vonnetanja­hu substanzie­lle Zugeständn­isse an die Palästinen­ser verlangen? Sollten sich durch seine paradoxe Interventi­on neue Friedensho­rizonte innahost aufspannen, wäre das der bisher wohl größte Coup des Vielgescho­ltenen.

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