Patchwork Leben
Zwei deutsche Nationalspieler mit türkischem Familienhintergrund trafen den türkischen Präsidenten, ein „Shitstorm“folgte. Von Loyalitäten in Zeiten der Globalisierung.
Früher war alles einfacher. Man kam auf die Welt, blieb, wo man war und starb irgendwann wieder. Man fand eine Frau, zeugte Kinder und das war die Familie. Man lernte einen Beruf, übte ihn aus und ging endlich in Pension.
Nichts von dem gilt noch als selbstverständlich. Leben im Ausland, in Zweitfamilien und im Drittberuf gehört zum Alltag. Das Geflecht aus Loyalitäten und Zugehörigkeitsgefühlen, das Menschen aneinander bindet, an Landstriche, an Gewohnheiten, Sprache, Musik, ist aus den Fugen. Neue Verbindungen entstehen, ohne dass alte deshalb schwinden müssen. Das Leben als Patchwork, als Fleckerlteppich. Einfacher wird das Leben so nicht, aber reichhaltiger, abwechslungsreicher – und anstrengender. Die alten Selbstverständlichkeiten sind fort, neue noch nicht entstanden. Das fordert vielnachdenkarbeit, permanentes Nachjustieren und ein hohes Maß an Geduld. Sofern diese von anderen verlangt wird, heißt sie Toleranz.
Nachdenken und Nachjustieren verlangt eine empörte Öffentlichkeit nun von zwei Spit- zenspielern der deutschen Nationalelf. Mesut Özil und lkay Gündogan˘ hatten dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan˘ Trikots ihrer Klubs mitwidmung an „meinen Präsidenten“überreicht. Eine Flut von Beschimpfungen ergoss sich daraufhin über die beiden nach Geburtsort und Pass Deutschen. Besonnene Politiker aller Richtungen erinnerten sie an das Selbstverständliche: dass ihr Präsident Frank-walter Steinmeier heißt. Einige erinnerten daran, wie Erdogan˘ mit Journalisten, Oppositionellen und den Regeln des Rechtsstaats umspringt. Auch der Hinweis auf den laufenden Wahlkampf in der Türkei fehlte nicht. In den Augen ihrer Landsleute machte die Geste die beiden zu nützlichen Idioten eines Autokraten.
Wer je längere Zeit im Ausland verbracht hat, kennt den ganz besonderen Patriotismus, den der Entzug der real existie- renden Heimat erzeugt. Der kann sich auch vorstellen, dass Familien die Liebe zur verlorenen Heimat, zur Sprache und Kultur der Ahnen an die Nachkommen weiterzugeben versuchen. Daran ist nichtsverwerfliches, das ist normal und muss mit dem Leben im neuen Heimatland nicht unvereinbar sein. Mit Freude und Stolz haben wir nach dem Kollaps des Kommunismus die deutschsprachigen Enklaven in Rumänien besucht und bewundert, wie die Menschen dort über Jahrhunderte ihre kulturellen Wurzeln bewahrt haben. ie Anbiederung der beidennationalspieler an Erdogan˘ aber hat mit der Pflege kultureller Wurzeln nichts zu tun. Sie machten – bewusst oder unbewusst – mit im üblen Spiel des türkischen Präsidenten mit Türken überall in der Welt. Seit Jahren versucht er, imwerben um Wähler einen Keil zwischen die Zugewanderten und das Land, in dem sie nun leben, zu treiben.
Özil und Gündogan˘ sind ihm auf den Leim gegangen, diese Dummheit fällt den beiden nun auf den Kopf. Nachdenken und nachjustieren.
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