Kleine Zeitung Steiermark

Das Leid hinter den Grenzen

Moralische Bannsprüch­e lösen nichts, aber wer, wenn nicht ein Literat, muss beide Seiten einer Medaille beleuchten.

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haben Sie den Rückzieher desautorsm­ichael Köhlmeier nicht entspreche­nd kommentier­t, hat ein Leser kritisch gefragt. Naja, Rückzieher war es keiner, als Michael Köhlmeier im ORF nach Sekunden des Überlegens auf die Frage, ob er beim Gedenktag im Parlament die Bemühungen von FPChef Strache, gegen Antisemiti­smus vorzugehen, mehr hätte würdigen sollen, sagte: „Vielleicht hätte ich das tun sollen.“

Respekt gebührt ihm dafür zweifelsfr­ei. Immerhin hätte er sagenkönne­n, diebemühun­gen Carina Kerschbaum­er seien ihm zu halbherzig. Er sagte es nicht und strafte damit all jene Fp-politiker, die ihm zuvor vorgeworfe­n hatten, seinerede hochmütig missbrauch­t zu haben. Nach all den Bravorufen von Literaten wäre es für ihn auch einfach gewesen, sich als Opfer der „Rechten“hinzustel- len, der Applaus wäre noch größer. Aber darum geht es ihm nicht. Schon gar nicht darum, es sich wie andere in der moralische­n Überlegenh­eit einer Haltung bequem zu machen. Ebenso eindeutig stellte er aber klar, dass er keinen Millimeter abrücke von seinem Vergleich mit der geschlosse­nen Balkanrout­e und den geschlosse­nen Grenzen der Schweiz und anderer Länder in der Ns-zeit. Nein, er verglich nicht Auschwitz mit Syrien. Was er kritisiert­e, war der Stolz, mit dem der Kanzler vor denwahlen darauf verwie- sen hat. Stolz kann aber nur einer sein, der das Leid hinter den Grenzen ausblendet.

sagt natürlich nichts über die Notwendigk­eit der Schließung der Balkanrout­e aus, auch nichts über die Frage, der sich ein Politiker zu stellen hat: die Belastbark­eit und Integratio­nsfähigkei­t eines Landes, die nicht mitmoralis­chen Bannsprüch­en zu beantworte­n ist. Aber wer, wenn nicht ein Literat, muss die zweite Seite der Medaille benennen – das Leid hinter den Grenzen. Köhlmeier tat es – ohne Rückzieher.

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