„Stolz auf das, was wir nicht verbreiten“
Kleine-zeitung-redakteur Ernst Sittinger wurde am Dienstagabend in der Hofburg der Kurt-vorhofer-preis verliehen. In seiner Dankesrede erklärt er denwesenskern eines zeitgemäßen Journalismus.
lesener Schönheit verwelken. Die alte Binsenweisheit „Only bad news are good news“darf man getrost ergänzen: Auch jede Art von banalem Ulk und Bizarr-belanglosem bringt Online-klicks. as soll nicht missverstanden werden als elitäre, von Dünkeln geleitete Leserschelte. Keiner, und mag er sich für noch so gebildet oder mitfühlend halten, ist gefeit vor dem voyeuristischen Reflex. Wir alle funktionieren nach demselben biologischen Überlebensprogramm, das unsere Aufmerksamkeit auf Unerwartetes und potenziell Gefährliches lenkt. Zuerst kommt bekanntlich das Fressen, dann das Gaffen und dann bei fast allen
DMehr dazu
Der Kurt-vorhofer-preis ist eine seit 1996 vergebene Auszeichnungfürbesondere journalistische Leistungen. Ernst Sittinger, diesjähriger Preisträger, ist InnenpolitikJournalist der Kleinen Zeitung und seit 2006 Mitglied der Chefredaktion.
Stefan Kappacher ist Ö-1Politik-journalist. Er erhielt den nach dem Orf-anchorman benannten „RobertHochner-preis“, derebenfalls gestern verliehen wurde. von uns trotzdem noch ein ganz ordentliches Maß anmoral.
Umdie Zivilisationmuss man sich also keine Sorgen machen. Das Publikum mag vielleicht seine vertieften Informationsbedürfnisse gerne hinter dem Konsum leichter Unterhaltung verbergen, aber für große Fragen ist es trotzdem ansprechbar. Nur wird halt die Vermittlung differenzierter Inhalte zur hohen Kunst, und die lässt oft genug zu wünschen übrig.
Wenn Online-klicks die harte Währung der Werbewirtschaft sind und wennmedien – auch – von Werbung leben, dann entsteht ein verlockender Sog, der billigen Effekthascherei noch weit mehr als in der Vergangenheit zu erliegen. Alte Arbeitsweisen geraten unter Druck: zum Beispiel die vormals sakrosankte Dreifaltigkeit der Recherche nach dem Muster „Check, Re-check, Double check“. Oder das 1897 von der New York Times postulierte Prinzip, eine Nachricht erst dann zu verbreiten, wenn sie aufgrund sorgfältiger Überprüfung als „fit to print“eingestuft wurde. Gilt das heute noch? „Fit to print“? Oder reicht für den Online-journalismus ein flüchtiges „Wird scho’ passen“?
Das Internet hat uns fantastische neue Möglichkeiten gebracht, aber eben auch einever- schiebung des Wettbewerbs in Richtung „Schneller, lauter, ungenauer“. Wie sonst wäre es möglich, dass Medien aus halb Österreich im vergangenen Februar eine Story der Bild-zeitung über angebliche MoskauVerbindungen des deutschen Jungsozialistenchefs Kevin Kühnert nacherzählt haben? Die Kleine Zeitung gehörte übrigens nicht dazu: Wir haben die Story geprüft, aber für nicht druckreif befunden. Wie sich später herausstellte, war der vermeintliche Knüller satirisch erfunden und der Bild-redaktion untergeschoben worden. o sind wir also heute – bizarr genug – manchmal stolz auf das, was wir nicht verbreiten. Wir sollten diesen Stolz der Zurückhaltung kultivieren. Der beste Journalist ist nämlich nicht der, der seine Macht verleugnet, sondern der, der sie als Verantwortung begreift und sich bewusst ist, was er durch Sorglosigkeit alles anrichten kann. Das gilt speziell
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