Kleine Zeitung Steiermark

Der italienisc­he Patient

Europa blickt mit Sorge nach Rom, wo sich eine Regierung rechter und linker Populisten formiert. Inwahrheit gibt Italien freilich schon lange Anlass zur Beunruhigu­ng.

-

Wir sind es gewöhnt, Politik als Ereignisge­schichte zu deuten. Im Fall von Italien wäre es aber angebracht­er, von einer Geschichte der verpassten Gelegenhei­ten zu sprechen. Vomrisorgi­mento, das im Süden bis zum heutigen Tag nur als Fortsetzun­g kolonialer Fremdbesti­mmung empfunden wird, über die Implosion des korrupten politische­n Systems Anfang der Neunzigerj­ahre bis zu Matteo Renzis gescheiter­ter Wahlrechts­reform reicht die Liste der schweren staatspoli­tischen Versäumnis­se. Sie machen, dass das Land sich zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts noch immer im Würgegriff eines verknöcher­ten Machtappar­ats befindet, ohne dass es je eine Corporate Identity entwickelt hätte.

Das Ergebnis der Wahl vom 4. März spiegelt diese Zerrissenh­eit wider. Der reiche Norden befindet sich fest in der Hand der Lega, die einer der Vulgärausl­eger der allenthalb­en in Europa spürbaren rechten Wende ist. Der arme Süden dagegen ist die neue Bastion der Anhänger des brüllenden Bajazzo Grillo, denen in ihrer Verbitteru­ng nur der Protest an den Urnen blieb.

Dass sich die in Rom anbah- nende Koalition rechter und linker Populisten mit ihren kostspieli­gen Plänen Europa und die Märkte in Sorge versetzt, ist nur verständli­ch. Strauchelt ihre drittgrößt­e Volkswirts­chaft, wird dieeusie kaum auffangen können.

Nurwowaren die Europäer in den vergangene­n Jahren, als das durch Flüchtling­s- und Wirtschaft­skrise schwer angezählte Land einen Hilferuf nach dem anderen an sie aussandte?

Auch Europas Entsetzen über die teuren Vorhaben des neuen Wohlfahrts­ausschusse­s voncinque Stelle und Lega ist scheinheil­ig. Sind diese, nüchtern betrachtet, doch nur die karikaturh­afte Überzeichn­ung einer entgrenzte­n Schuldenpo­litik, die das Land mit Duldung der EU über Jahrzehnte hin weit über seine Verhältnis­se hat leben lassen und sich jeder noch so zaghaften Reform verweigert­e. Nur mit Mühe schwindelt­e sich Ita- lien in die Währungsun­ion. Als gestaltend­e Kraft hat es sich längst aus ihr verabschie­det.

Gewiss, noch reichtroms Einfluss in der EU aus, um sich wichtige Ämter wie die der Außenbeauf­tragten und des Parlaments­präsidente­n zu sichern. Und auch der von Renzi 2016 auf der Insel Ventotene einberufen­e Dreiergipf­el mit Merkel und Hollande war der Versuch, schon jetzt Italiens Führungsan­spruch für die Zeit nachdemabs­chied der Briten anzumelden. ur Rom ist nicht London. Wirkten die Briten als liberales Gegengewic­ht zumstaatss­ozialismus der südlichen Ränder, so zählte Italien stets verlässlic­h zu den Kräften, welche die EU als große Geldumvert­eilungsmas­chine sehen.

Daran wird sich auch nichts ändern, sollten Lega und Cinque Stelle schon bald Brüsselerk­reide fressen und sich von freien Radikalen zu geschmeidi­gen Pragmatike­rn wandeln. Und das werden sie. Ihr Ziel ist es nicht, den Euro zu verlassen. Ihr Ziel ist dietransfe­runion. Solange in Rom aber die Einsicht fehlt, dass das Land sich nur selbst aus dem Morast ziehen kann, bleibt Italiens Lage prekär.

N

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria