Fehlt unseren Kindern die Empathie?
In kaum einem anderen Land wird in den Schulen so viel gemobbt wie bei uns. Wo die Bildungspsychologin Christiane Spiel die Ursachen dafür sieht.
Sie treten zu, auch wenn der andere schon auf dem Boden liegt. Sie reißen sich an den Haaren und schlagen sich mit Fäusten: Die Schule ist ein Ort, an dem viele Kinder und Jugendliche zeigen, wie gewalttätig sie sind. Im letzten Jahr hat es 835 Anzeigen wegen Körperverletzung beziehungsweise schwerer Körperverletzung gegeben. Ist das ein Beleg dafür, dass die Kinder heute aggressiver und brutaler als früher sind? „Nein, dieser Vergleich lässt sich nicht ziehen, denn die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten, gibt es erst seit einigen Jahren“, betont die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel. Auch die Sensibilisierung imumgang mitdemthemagewalt an den Schulen hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. „Das Wissen, dass man heute eine Anzeige erstatten kann, führt dann natürlich auch dazu, dass es mehr Schüler tun“, sagt die Psychologin.
Was sich allerdings nicht leugnen lässt: In kaum einem anderen Land wird in den Schulen so viel gemobbt wie bei uns. Das belegt auch der letzte OECDReport „Skills for Social Progress: The Power of Social and Emotional Skills“– eine Untersuchung, die alle vier Jahre durchgeführt wird. Demnach hat Österreich imvergleich von 27 Ländern die höchste „Bully- ing“-rate. Bullying umschreibt das Phänomen, dass ein Einzelner von einem oder mehreren in seiner Gruppe schikaniert wird. Wie sich das anfühlt, weiß einer von fünf Buben. Insgesamt sind 21 Prozent der österreichischen Schüler davon betroffen. Dieser Anteil ist doppelt so groß wie im OECDSchnitt, der bei elf Prozent liegt, und fünfmal größer als in Schweden, wo vier Prozent der Schüler Opfer von Mobbing sind.
Ein Wert, der Spiel nicht überrascht: „Österreich hat bei Studien über Bullying undmobbing immer schon schlecht abgeschnitten.“Die Ursachen dafür ortet sie auf unterschiedli- chen Ebenen. Wenn Kinder Gewalt ausüben, hat das oft mehrere Ursachen. „Es gibt Kinder, die weniger Empathie haben, Kinder, die Lust oder sogar Freude daran empfinden, andere zu quälen. Und es gibt Kinder, die selbst in der Familie Gewalt erfahren“, zählt Spiel auf.
Doch nicht alles dürfe den Kindern zugeschrieben werden. Denn letztlich entscheidet das System, wie mit dem Thema Gewalt umgegangen wird. Es gibt Mechanismen, die Gewalt fördern oder eindämmen. „Zum einen ist die Rolle der Peers, also der Gleichaltrigen, besonders wichtig. Greifen die Kinder ein und unterbinden sie Ge-