Bekenntnisse eines Polit-ignoranten
Mein 1968 – für manche war dieses Jahr eher die Zeit persönlicher Revolten und weniger des politischen Umbruchs. Der Autor dieses Textes war einer von denen.
Die Erinnerung ist ein nonchalanter Betrüger. Vor allem, wenn sie einen selbst betrifft. Natürlich habe ich, Pflasterstein und Molli in den Händen, 1968 Dutzende Demos angeführt. Natürlich hatte ich die Kritische Theorie der Philosophen Adorno, Horkheimer, Habermas & Co im kleinen Finger.
Natürlich habe ich am hochrangigen antiimperialistischen Diskurs teilgenommen. Natürlichwar ich beikunst undrevolution, der sogenannten UniFerkelei, inwien anwesend und habe für Günter Brus dastoilettenpapier parat gehalten.
Und, na ja, Kaufhäuser habe ich keine angezündet, bloß im Rahmen eines Roadtrips durch England einmal ein paar Fischkonserven geklaut.
Womit wir der tatsächlichen Wahrheit etwas näher sind: Nein, kein Molotowcocktail, keine Pflastersteine, vielmehr habe ich durchaus begehrlich den blanken Busen der anmutigen Kommune-1-ikone Uschi Obermaier bewundert und mir gewünscht, wenigstens für eine Nacht Rainer Langhans zu sein.
Nein, auch die Kritische Theorie kannte ich nur vom Hörensagen. Lieber trug ich Taschenbücher von Albert Camus oder Jean-paul Sartre dekorativ herum.
Und auch mit dem antiimperialistischen Diskurs war es nicht weit her. Ab und zu wa- chelte ich mit einer geschenkten Mao-bibel herum; ansonsten besserte ich mit einer grafischen Version von Alberto Kordas berühmtem Guevara-porträt mein Studentenbudget auf.
Die sogenannte Uni-ferkelei ging völlig an mir vorbei, weil ich kaum Zeitung las und außerdem am 7. Juni 1968 gehörig unter Maturastress stand.
Morde. Man könnte meinen damaligen Zustand eventuell mit einem Zitat des legendären Satirikers Otto Grünmandl zusammenfassen: Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber privat kenn ich mich aus.
Ichwar damals viel zu sehr mit mir beschäftigt, um mich dem Weltgeschehen und seinen Umbrüchen gebührlich zu widmen. Ja, die Morde an Robert Kennedy, Martin Luther King und Malcolm X nahm ich bestürzt zur Kenntnis. (Das im Juni 1968 von Lieutenantwilliam Calley koordinierte Massaker im vietnamesischenmy˜ Lai mit 504 ermordeten Zivilisten wurde ja erst im Jahr danach ruchbar.)
Als am 21. August Truppen des Warschauer Pakts in Prag einmarschierten, war mir die Tragweite überhaupt nicht bewusst. In aller Naivität hielt ich das für eine innerkommunistische Angelegenheit, die uns nicht groß berühren müsse.
Ich war zu dieser Zeit per Autostopp in England unterwegs, wo der vorangegangene „Sum- mer of Love“noch deutliche und bunte Spuren hinterlassen hatte. Ich schlief in Parks, aß in BilligKiosks und in der Londonercarnaby Street erstand ich ein paar Klamotten, die mir den Respekt meiner Freunde und das Entsetzen meiner Eltern sichern würden. Den Soundtrack lieferten die Beatles („Hey Jude“), die Stones („Jumping Jack Flash“), Love Affair („Everlasting Love“),