1968: Chronik eines Umbruchs
Schülerdemonstration in Wien Fortsetzung von Seite 9
sich Kennedy und Chruschtschow treffen und mit ihren Frauen gemeinsam Kaffee trinken, freundlich begleitet von unserem Bundespräsidenten Adolf Schärf. Es war Österreich gelungen, das Selbstbild des harmlosen, kleinen Staates einerseits zu verinnerlichen, anderseits dieses Bild einer Weltöffentlichkeit zu vermitteln, die dies nicht ungern aufgriff, um einen Gegenentwurf zum „hässlichen Deutschen“zu haben. Dabei stand gerade Adolf Schärf, der zufälligerweise nicht nur den Vornamen, sondern auch das exakte Geburtsdatum mit Adolf Hitler teilte, symbolhaft für das unklare Verhältnis zur Vergangenheit. „Wer einmal schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr“, war ein Wahlslogan im Präsidentenwahlkampf, der ungeniert und unverhüllt die Ehemaligen im Visier hatte.
Das war die Welt, gegen die die Generation der Achtundsechziger anlief. Und gerade die PICTUREDESK Demonstration sozialistischer Studenten für Rudi
akademischewelt war voll von Personen, die keinen allzu großen Hehl aus ihrer Gesinnung machten. In den Fächern Theaterwissenschaft, Volkskunde, Germanistik und auch Geschichte war die Universität Wien (und sicher auch die Universität Graz, die ja noch viel stärker etwa von schlagenden Verbindungen geprägt war), an der ich ab 1966 studierte, geprägt von solchen belasteten Persönlichkeiten.
Noch schlimmer war es an der Hochschule fürwelthandel, wo letztlich ein Skandal die Diskussionen ins Rollen brachte. Der Historiker Taras Borodajkewycz hielt offen antisemitische Vorlesungen und Vorträge und sympathisierte ohne Zurückhaltung mit dem Nationalsozialismus. Der junge Student Ferdinand Lacina, später Finanzminister der Republik, schrieb empört in den Vorlesungen mit und Heinz Fischer, heute Altbundespräsident, brachte durch die Veröffentlichung den Stein ins Rollen. Da Fischer sei-
nen Informanten nicht preisgab, wurde er verurteilt und über die Sache schien Gras zu wachsen, aber 1965 griff der Kabarettist Gerhard Bronner die Geschichte auf. Da Borodajkewycz nicht davor zurückschreckte, sich antisemitisch über Hanskelsen, den Schöpfer der österreichischen Verfassung, zu äußern, kam es zu Demonstrationen von linken Studierenden und alten Widerstandskämpfern, die mit Gegendemonstrationen der Neonazis beantwortetwurden. In dentumulten kam es zum ersten politischen Toten der Nachkriegsgeschichte. Ernst Kirchweger, ehemaliger Widerstandskämpfer, wurde 1965 von einem bekannten Rechtsradikalen zusammengeschlagen und erlag seinen Verletzungen.
Schlimm stand es auch im medizinischen Bereich. Der Psychiater Heinrich Gross, verantwortlich für die Grausamkeiten im Spital „Am Spiegelgrund“, war gefragter Gerichtsgutachter, unter anderem im Verfahren gegen die Beteiligten