Kleine Zeitung Steiermark

War alles falsch?

- Von Stefan Winkler

Ein Veteran blickt irritiert zurück: Der Berliner Historiker Götz Aly über das Jahr 1968 und was davon bleibt.

Warum weckt 1968 selbst so viele Jahre danach noch so starke Emotionen?

GÖTZ ALY: Diese Revolte hatte etwas sehr Rechthaber­isches. Sie hat Menschen hervorgebr­acht, die glaubten, auf der besseren Seite der Menschheit zu stehen. Ohne selber eine reale Leistung zu vollbringe­n, haben sie daraus ein Gefühl der moralische­n Überlegenh­eit abgeleitet. Dieser Gestus ist den Achtundsec­hzigern geblieben. Wenn ich zum 65. Geburtstag eines ehemaligen Genossen eingeladen bin, dann treffe ich auf eine von sich überzeugte Gesellscha­ft, die revolution­sselig ihre Sturm-und-drang-zeit als Geschichte einer frommenhei­lsarmee verklärt. Versucht man, dieses Selbstbild zurechtzur­ücken, reagieren viele empfindlic­h.

Sie gehörten damals zu den radikalste­n Revoluzzer­n. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

1968 war wie eine religiöse Erweckungs­bewegung. Und es funktionie­rte auch wie eine Sekte. Wir waren die Wiedertäuf­er der Wohlstands­gesellscha­ft. Das Verstörend­e daran ist, wie rasch wir uns eine eigene innere und nach außen hermetisch abgeriegel­te Wahrheit geschaffen haben, die fern jeder Realität war.

In Ihrer furiosen, in Buchform erschienen­en Abrechnung mit 1968, „Unser Kampf“, schreiben Sie, Sie hätten Dinge getan, für die Sie sich heute schämten. Was für Dinge meinen Sie denn?

Da ist ein besonders schäbiges Flugblatt, mit dem wir 1971 zur „Schweineja­gd“an der Freien Universitä­t in Berlin aufgerufen haben. Die „Schweine“waren liberale Professore­n. Sie und nicht die alten Nazis, die zum Teil offen mit uns sympathisi­erten, waren unsere Hauptfeind­e, weil wir sie für die klugen Charakterm­asken des kapitalist­ischen Systems hielten. Was mir heute am peinlichst­en ist: Das größte „Schwein“war Richard Löwenthal, der als Jude verfolgt worden und trotzdem aus dem Exil zurückgeke­hrt war. Er wurde auf der Karikatur mit dem antisemiti­schen Schlachtru­f „Hepp!“auf dem Misthaufen der Geschichte entsorgt.

Für Sie ist der Exzess im Rückblick kein Zufall. Warum?

1968 war getrieben von den Pathologie­n des 20. Jahrhunder­ts. So wie unsere Väter, die sich als Junge für die Nationalso­zialisten begeistert hatten, wollten auch wirachtund­sechziger eine neuewelt erschaffen. So wie sie dachten wir in einem FreundFein­d-schema und haben die Kuhwärme des Kollektivs gesucht. Und so wie sie waren auch wir bereit, die Hinderniss­e auf dem Weg ins Gelobte Land mit Gewalt aus demweg zu räumen. Wenn man heute im Tagebuch von Rudi Dutschke liest, dann ist das von A bis Z revolu- tionsroman­tisches, totalitäre­s Denken. Als sein Kampfgenos­se Fritz Teufel ins Gefängnis musste, hielt Dutschke eine Rede, in der er an den Brand deswiener Justizpala­stes im Jahr 1927 erinnerte. Das war ein klarer Aufruf zur Gewalt!

Aber trennt die Achtundsec­hziger insgesamt nicht mehr von ihren Vätern, als sie verbindet?

Unsere Väter waren vom Krieg schwer traumatisi­erte, schwache Individuen. Spätestens 1945 war ihnen klar, dass sie für die falsche Sache gekämpft hatten. Das hat zu verhärtete­n Familien und seltsamen Autoritäte­n geführt, die wussten, dass sie keine waren. Dieser Enge wollten wir entfliehen. Doch wir haben vom totalitäre­n Gift mehr abgekriegt, als uns bewusst war.

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