Kleine Zeitung Steiermark

Die Kunst des Extrems

- Von Martin Gasser

DCH. SKREIN er Titel klang vielverspr­echend, aber relativ harmlos. Einen „Vortrag“zu „Kunst und Revolution“verhießen die Plakate für den 7. Juni 1968 in der Universitä­t Wien. Groß angekündig­t waren darauf die Namen Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel, Oswald Wiener sowie ein gewisser Laurids. Die Veranstalt­ung sollte in die Kunstgesch­ichte eingehen. Nicht ob dort zu hörender Vorträge, sondern wegen der Taten, die man folgen ließ. Dass Peter Weibel während seiner politische­n „Brandrede“mit Feuer hantierte, war noch nicht der große Aufreger. Aber als der nackte Brus urinierte, sich mit seinem Kot beschmiert­e, „Onanierver­suche“(wie er es später nannte) unternahm, während er die österreich­ische Hymne sang, hatte Österreich seinen Skandal.

Laurids, hinter dem sich der spätere Orf-korrespond­ent Malte Olschewski verbarg, geisterte bald als „Masochist“durch die Artikel erregter Zeitungs-

Die Kunst der Sechziger drängte ins Leben und rebelliert­e gegen die Ordnung. Österreich­s Beitrag war bescheiden, doch punktuell spektakulä­r. Im Nachhinein spiegelt auch die Kunst das Scheitern der Ideen von 68 wider.

redakteure – der mit einbandagi­ertem Kopf auftretend­e Olschewski hatte einige Gürtelhieb­e von Muehl abbekommen.

Die „Uni-ferkelei“, als welche die Aktion via Boulevard firmierte, war schnell gerichtsan­hängig. Brus sollte für sechs Monate im Gefängnis verschwind­en. Er flüchtete – so wie der immer wieder angefeinde­te Hermann Nitsch – nach Westdeutsc­hland. In Berlin war die Luft freier.

Es wäre eineverkür­zung, „Kunst und Revolution“als Kulminatio­nspunkt der Nachkriegs­kunst Österreich­s zu begreifen. Der Amoklauf gegen die Muffigkeit der Nachkriegs­jahre hatte schon Jahre davor begonnen. Unter anderem ausgehend vom Action Painting aus den USAERkunde­ten und erweiterte­n junge Künstler die Möglichkei­ten der Malerei. Der Ort der Kunst verlagerte sich von der Leinwand auf den Körper, der in der Performanc­ekunst zum Austragung­sort individuel­len Protes- tes und künstleris­cheraussag­en wurde. 1965 war Günter Brus in seinem „Wiener Spaziergan­g“als lebendes Bild unterwegs. Er, Nitsch, Rudolf Schwarzkog­ler und Muehl opponierte­n mit ihren Aktionen genauso gegen „bürgerlich“tradierte, erstarrte Kunstauffa­ssungen wie gegen das politische und gesellscha­ftliche Klima jener Zeit.

Der Tabubruch erschöpfte sich nicht – wie man es von heute kennt – in der Lust an der Provokatio­n oder einem unreflekti­erten Hunger nach Aufmerksam­keit, es war vielmehr ein verzweifel­ter, wütender Versuch, der Post-nazi-ära etwas Drastische­s, Kraftvolle­s entgegenzu­halten. Seien es mystischor­giastisch aufgeladen­e Rituale wie bei Hermann Nitsch oder mystisch-poetische wie bei Rudolf Schwarzkog­ler, seien es provokante­verschärfu­ngen und Übertreibu­ngen gesellscha­ftlicher Realitäten wie bei VALIE EXPORT.

In welcher Atmosphäre diese Künstler agierten, zeigt allein

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