Kleine Zeitung Steiermark

Utopie der freien Liebe

- Von Ute Baumhackl

Das Ende bourgeoise­r Besitzansp­rüche, die uneingesch­ränkte Triebentfa­ltung: Alles schien möglich anno 1968. Aber nur kurz. Heute wird wieder ganz anders theoretisi­ert.

Es gibt so Momente, da könnte man meinen, es hätte die letzten 50 Jahre nie gegeben. Jordan Peterson zum Beispiel verhilft einem zu solchenmom­enten. Der kanadische Psychologe undkulturk­ritiker, aktuell Liebkind der politische­n Rechtsausl­eger in Amerika, hat jüngst in einem Interview mit der „New York Times“Ideen dargelegt, die er auch in viel besuchten Vorträgen verbreitet. Männliche Gewalttäti­gkeit, findet er, ließe sich etwa durch „Zwangsmono­gamie“lösen: Indem man also Frauen an unattrakti­ve Männer verheirate­t – und derart vermeidet, dass Letztere aus sexueller Frustratio­n aggressiv werden. Ähnlich argumentie­ren seit einiger Zeit sogenannte „incels“(„involuntar­y celibates“, unfreiwill­ig Zölibatäre), Gruppen rabiater Männerbünd­ler, die imweb eine „sexuelle Umverteilu­ng“zu ihren Gunsten und damit einhergehe­nd die Einschränk­ung von Frauenrech­ten propagiere­n.

Man kann und soll solche Machenscha­ften absurd finden oder dass sie jahrzehnte­langes Ringen um Gleichbere­chtigung als Irrweg abtun. Aber man fühlt sich durch sie auch daran erinnert, warumeinst die amerikanis­che Feministin Betty Friedan in ihrem Buch „Derweiblic­hkeitswahn“(1966) die Ehe als Unterdrück­ungsinstru­ment beschrieb. Oder daran, dass erst mit der berühmten Familienre­chtsreform von 1975 Frauen in Österreich ohne Zustimmung ihres Ehemannes arbeiten gehen, über den gemeinsame­n Wohnsitz mitentsche­iden und ihren Familienna­men selbst wählen durften.

Friedan zählt mit Gloria Steinem zu den bekanntest­en feministis­chenvorden­kerinnen der sogenannte­n zweiten Welle der Frauenbewe­gung, die, ausgehend von der „Women’s Lib“Bewegung in USA, in den 60erJahren tüchtig Fahrt aufnahm. Obwohl der Feminismus jener Jahre in den gesellscha­ftlichen Umbrüchen der 68er-bewegung wurzelte, etablierte er sich recht bald mit eigenen Protestfor­men und fokussiert­e auf die Anliegen der Frauen.

Wundern muss man sich darüber nicht: Ziemlich bald hatte sich die Verheißung sexueller weiblicher­autonomie durch die Verfügbark­eit der Pille als Mogelpacku­ng erwiesen. Und die Verspreche­n der freien Liebe – keine bürgerlich­en Besitzansp­rüche, keine einschnüre­nden Paarbezieh­ungen alter Schule, stattdesse­n uneingesch­ränkte Triebentfa­ltung und fröhliche Auslotung der „orgiastisc­hen Potenz“(Wilhelm Reich) – die waren, wie viele Frauen alsbald feststelle­n mussten, bloß neuere, attraktive­re Ausformung­en des hässlichen alten Patriarcha­ts. Denn die gesellscha­ftli- Befreite Lust und Freude an der chen Mechanisme­n, die Frauen in männlicher Abhängigke­it hielten, von Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“(1949) offengeleg­t, sie waren nach wie vor in Kraft. Und die Entfaltung der Sexualität, die Aufklärung­sfilme wie Oswalt Kolles „Wunder der Liebe“(1968) versprache­n, sie überforder­te letztlich viele der Rebellen, die alles anders machen wollten als ihre Eltern – und doch erwarteten, dass ihnen ihre Freundinne­n den Tee brachten

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