Ein Versuch.
Der Versuch, die Ausseer zu beschreiben, sei ein vergnügliches, aber hoffnungsloses Unterfangen, meint Autor Zum 59. Narzissenfest wagt er es trotzdem.
Die Ausseer haben es immer schon gewusst, eines Tages stand es aber auch offiziell fest: Das Ausseerland ist die geografische Mitte Österreichs. Dabei stellt das Wort „geografisch“eine entbehrliche Einschränkung dar. Aussee ist in jeder Hinsicht die Mitte, nicht anmaßend, aber mit schöner Selbstverständlichkeit in sich ruhend.
Das kommt nicht von ungefähr. Etwa vier Jahrhunderte hindurch gab es für die Bewohner des Salzkammergutes, dessen steirischer Teil das Ausseerland ist, gar keine andere Welt als die engereheimat. Diese Gegend stand im habsburgischen Eigentum und sorgte mit ihren Salzlzvorkommen für eine wohl gefüllte k. u. k. Privatschatulle. Alle e Einwohner waren mit der Gewinnung und Verarbeirarb tung desweißen Goldes befasst, wurden nach Kräften ausgebeutet, aber auch leidlich ernährt und gesund erhalten, waren umfassenden Zwängen unterworfen, aber vom Kriegsdienst befreit. So blieben sie über Jahrhunderte von den Wirren der Zeit unberührt. Darüber hinaus sorgte die Sehnsucht nach einer von der Obrigkeit unbeachteten Freiheit für jene erstaunliche Eintiefung der Gemüter, die sich als überaus robust und beständig erwies, als später der Fremdenverkehr – und damit die große, weite Welt – versuchte, das Ausseerland zu erobern.
Zur Person
Alfred Komarek, geboren am 5. Oktober1945inbadaussee, lebt als Schriftsteller in Wien, Bad Aussee und Niederösterreich. Komarekistnichtnurals Krimi-autor bekannt, er führt in Sachbüchern auch durch österreichische und europäische Kulturlandschaften.
Wie auch immer: Seit jeher weigern sich die Ausseer mit heiterer Beharrlichkeit, in irgendein Klischee zu passen. Demnach ist auch der Versuch, ihren Lebensstil zu beschreiben, ein zwar vergnügliches, aber hoffnung nungsloses Unterfangen. Aber versuchen wird man es wohl dürfen. I Immerhin wird ja auch die Ku Kunst, unterhaltsam zu sch scheitern, hierzulande durchaus gewürdigt.
Ich halte mich also an Vorbilder in der großen Politik, stelle unbewiesene Behauptungen auf und belege sie mit fadenscheinigen Indizien.
Erstens: Obwohl große roße Gesten und große e Worte die Ausseer eher zum Lachen reizen, sind sie jederzeit für r Theater zu haben, sogar, r, wenn es um Amtshandlungen geht. Um nicht in laufende Verfahren einzugreifen, beziehe ich mein Indiz aus dem Jahre 1734. Damals ließ der Gemeinderat durch Trommelschlag einen energischen Erlass kundmachen, um das Tanzen und Saufen, das Spielen und Fluchen fürderhin einzudämmen. Außerdemging es nicht an, dass „die Menscher denen Buben in die Wirtshäuser nachlaufen“. Also hatten nur noch erlaubte Lustbarkeiten stattzufinden und die mussten im Sommer nach dem Gebetläuten und im Winter spätestens um 10 Uhr beendet sein. Die Strafandrohungen waren von eindrucksvoller Konsequenz: „Welches Mensch aber nach vollbrachtem Zapfenstreich ertappt würde, dem werden vom Gerichtsdiener und der verdoppelten Viertelwacht die Hauben, Fürtücher und Unterröcke abgenommen.“
Die Menscher haben sich zwar inzwischen von ihrem Schrecken erholt und pfeifen auf den Zapfenstreich, aber die Wirte haben die frühe Sperrstunde dermaßen nachhaltig verinnerlicht, dass ihnen manchmal sogar das Aufsperren ausgesprochen schwerfällt. Andererseits kommt es schon auch h vor, dass ein besonders mun munterer Stammtisch die N Nacht zum Tag macht und derwirt in klarer Konsequenz die Sp Sperrstunde bis auf Weiter Weiteres vertagt. Damit ist es Zeit für die zweite unbewiesene Behauptung: ie Ausseer halten sich schon auch an geschriebene Gesetze, lieber aber an ungeschriebene. Eines davon könnte lauten: Wir streiten miteinander, wenn wir Lust darauf haben, und nicht, wenn sich das
Dirgendeine Obrigkeit einbildet. Damit wird zum Beispiel die Ausseer Parteipolitik für die Regierenden so erfrischend unberechenbar. Weil ich mich dazu aber nicht näher äußern möchte, begebe ich mich flugs ins 15. Jahrhundert. Damals, 1463, um genau zu sein, gab es einen Bruderzwist im Hause Habsburg: Friedrich III., der das Ausseer Salz beanspruchte, stritt mit Albrecht VI., der die Macht über Hallstatt hatte, dass die Funken nur so stoben. Den Ausseern wurde das Gerangel über ihren Köpfen und auf ihre Kosten bald zu dumm, den Hallstättern auch, und 1463 trafen