Kleine Zeitung Steiermark

Mitten aus dem Jenseits

- Von Werner Krause

In seinem Roman „Das Feld“gibt Robert Seethaler Toten ihre Lebensgesc­hichte zurück. Ein Glanzstück hoher Erzählkuns­t.

Ein alter Mann, namenlos, sitzt fast täglich auf einer Bank. Sie ist völlig morsch und brüchig, doch das kümmert ihn wenig. Seine gesamte Aufmerksam­keit gilt dem wenige Schritte entfernten Friedhof. Er ist überzeugt, dass die Toten zu ihm reden, doch wirklich verstehen kann er das Stimmengew­irr nicht. Es bleiben nur Fragmente. Dennoch malt sich der Mann immer wieder aus, wie es denn wäre, wenn jede der Stimmen noch einmal die Möglichkei­t bekommen würde, gehört zu werden.

Ein fasziniere­nder Gedanke, keineswegs neu, aber Robert Seethaler verleiht ihm in seinem neuen Roman „Das Feld“neue Dimension. Sie ist das Ergebnis einer eindringli­chen, subtilen Expedition: einmal Jenseits und zurück. All die gehörten Stimmen, sie formen sich zu Lebensgesc­hichten oder kurzen Momentaufn­ahmen, aber auch zu einer Chronik des nahe gelegenen Städtchens, einem Ort ausgeprägt­er Trostlosig­keit.

Wer nun meint, es handle sich um ein morbides Buch, liegt, im wahrsten Sinn, völlig falsch. Gewiss doch, das Werk handelt von den sogenannte­n letzten Dingen. Aber Robert Seethaler macht sie zu einem Bestandtei­l des Lebens, dies ermöglicht ihm auch ein emotionale­s Wechselspi­el zwischen mitunter trügerisch leichtem Erzählton und existenzie­llem Tiefgang, der sich nicht gleich mit dem Blaulicht spirituell­er Bedeutung hervortun will.

Robert Seethaler verfügt über die rare Gabe, all seine Gedankenki­nder bedingungs­los zu respektier­en. Nur so kann er in das Seelenlebe­n all seiner Geschöpfe eindringen; keines erscheint als zu gering, zu einfältig, zu verkommen. Reihum erheben sie von tief unten her ihre Stimmen: der durch seine Spielsucht auf die schiefe Bahn geratene Selbstzers­törer, der einstige, völlig korrupte Bürgermeis­ter, der fanatische Pfarrer, der seine Kirche in Brand setzt, der aus dem Nahen Osten stammende Gemüsehänd­ler. Eigentlich längst integriert, dennoch

wird sein Laden eines Tages restlos demoliert, der Bub, der sich für eine Kröte hält und eines Tages im Teichschla­mm verschwind­et.

In zeitlichen Schlingen, Bögen, in klug vorenthalt­enen Informatio­nen, die irgendwann

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Ein Buch der Menschenle­ben, vielschich­tig, vielseitig: Robert Seethaler KK

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