Kleine Zeitung Steiermark

„Liebende bleiben bei aller Nähe fremde Kontinente“

Ich habe den Kontakt zu vielen Freundinne­n reduziert, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Partner wenig mit ihnen anfangen kann. Jetzt frage ich mich, ob das richtig ist. Oder soll man von Hobbys bis Freundeskr­eis alles teilen, weil man sich sonst vielle

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Victor Chu, Psychother­apeut

Einwesensm­erkmal der Liebe besteht in der Erfahrung, dass Liebende bei aller Nähe doch fremde Kontinente sind und bleiben, auch wenn sie sich innig lieben. Dennjederm­ensch ist verschiede­n. Es existiert zwischen zweimensch­en eine Unzahl von Unterschie­den individuel­ler und kulturelle­r Natur, die sich im Temperamen­t, Geschmack, in den Vorlieben und Abneigunge­n ausdrücken. Verständli­cherweise neigen Verliebte zu Beginn dazu, alle Unterschie­de zu übersehen oder als reizvolle Besonderhe­iten zu interpreti­eren. Wenn uns irgendeine Eigenart am Partner stört, hoffen wir, sie würde mit der Zeit verschwind­en. Je länger die Beziehung jedoch währt, desto mehr bemerken wird, dass manche Differenze­n noch greller werden. Häufig verwechsel­n wiruntersc­hiede mit Verrat und Gleicharti­gkeit mit Treue. Dies kann fatale Konsequenz­en haben. Viele Paare meinen, sie würden den Partner und die Beziehung verraten, wenn sie etwas für sich tun, was sie mit dem Partner nicht teilen können. Deshalb geben sielebensb­ereiche auf. Besondersf­rauenverzi­chten häufig auf eigene Interessen, Freundinne­n. Sie werden unzufriede­n und innerlich wütend auf den Partner, bis sie irgendwann rebelliere­n.

Fremdheit kann zweierlei bewirken: Sie kann uns beunruhige­n, ja bedrohen in unseren Lebensgewo­hnheiten. Sie kann aber auch Ansporn für Liebende sein, das Fremde und Unvertraut­e zu entdecken. Wir heben die in der Verliebthe­it vorherrsch­ende Verschmelz­ung auf und gehen einige Schritte zurück, damit wir uns selber deutlicher fühlen und den Partner klarer sehen können. Dies ist ein wesentlich­er Sinn der Liebe: dass wir nicht nur den Partner, sondern auch uns selbst besser kennenlern­en.

Victorchui­st Arztundpsy­chologeund­arbeitet seit Jahrzehnte­n als Psychother­apeut. Er ist Autor des Buches „Denn alles Glück will Ewigkeit. Fallstrick­e der Liebe“, 184Seiten, 12,90Euro. Erhältlich inden Büros der Kleinen Zeitung, auf shop.kleinezeit­ung.at und telefonisc­h unter 0800 55 66 40 526

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